Völkische Netzwerke

Burschenschaften als Rückgrat des Rechtsrucks

HLZ 5/2020: Rechte Hetze und Gewalt

Eine gewisse Zeit lang hatte man hoffen können, dass sich Burschenschaften als aus der Zeit gefallene, männerbündische Form der Vergesellschaftung von allein erledigen würden, so sehr waren sie ins Feld gesellschaftlicher Irrelevanz gerückt. Doch mit dem Aufstieg der AfD und dem gesellschaftlichen Rechtsruck in den letzten Jahren nahm auch ihre Bedeutung im extrem rechten Netzwerk wieder zu. Die sonst so linke Universitätsstadt Marburg hat sich im Zuge dessen zu einer völkischen Kaderschmiede entwickelt.

Marburg im November 2019. Bereits zum zweiten Mal organisieren die Marburger Burschenschaft Germania und der Verlag Jungeuropa ihres Mitglieds Philip Stein den „Jungeuropa-Kongress“, ein Stelldichein der völkischen und faschistischen Szene, die mittlerweile gemeinhin als „neue Rechte“ bekannt ist. Bei der Veranstaltung im Vorjahr luden die Burschenschafter der Deutschen Burschenschaft den Vordenker dieser Strömung, den Franzosen Alain de Benoist nach Marburg ein. Dass diese Veranstaltung im Haus der Marburger Germanen stattfindet, ist kein Zufall. Längst ist es über Hessen hinaus zu einem bedeutenden Vernetzungsort geworden und die Mitglieder der Burschenschaft sind im völkischen Milieu bestens vernetzt.

Dieses völkische Netzwerk besteht aus der AfD als parlamentarischem Arm, rechten „Thinktanks“ wie dem Institut für Staatspolitik (IfS), Gruppen wie den „Identitären“ und der Spendensammelorganisation Einprozent, Publikationsorganen wie Compact, Sezession und Junge Freiheit, der rassistischen Mobilisierung auf der Straße wie PEGIDA, den Studentenverbindungen sowie offen neonazistischen Organisationen wie der Kaderpartei III. Weg.

Die einzelnen Teile des Netzwerkes können sich in ihrer Ausrichtung, Zielsetzung und Reichweite unterscheiden, wichtiger sind jedoch die gemeinsamen Feindbilder und Schlagworte, um sich gegenseitig zu stärken und zu stützen. Sie spielen sich rhetorische Bälle zu, springen auf die gleichen Themen auf, arbeiten an den gleichen Framing-Kampagnen und unterstützen sich materiell und personell. Sie schaffen Synergieeffekte mit großer Reichweite bei gleichsam wenig Personal.

Ob in den Parlamenten bei der AfD, bei den Identitären in den sozialen Netzwerken oder in den außerparlamentarischen Teilen: Marbuger Burschenschafter arbeiten gemeinsam an der gesellschaftlichen Verrohung. Sie sind Abgeordnete der AfD wie Torben Braga im Thüringer Landtag, Fraktionsmitarbeiter wie Marcel Grauf in Baden-Württemberg oder produzieren Propaganda wie der Verleger Philip Stein oder Identitären-Rapper Patrick Bass. Sie treiben den Hass und die Hetze voran, die die furchtbaren rechtsterroristischen Attentate wie in Hanau oder Halle und die rassistischen Demos wie in Chemnitz motivieren.

Völkische Hegemoniepolitik

Vor einigen Jahren war der Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) noch um seinen Ruf bemüht und versuchte, die extrem rechte Politik der Mitgliedsbünde als Ausnahme darzustellen. Doch der völkische Flügel organisierte sich innerhalb der DB seit Jahren gegen die sich als liberal verstehenden Bünde und sorgte 2011 bei der Jahreshauptversammlung des Verbandes für einen Eklat, der unter dem Namen „Ariernachweis“ in der Presse bekannt wurde. Im Vorfeld der Veranstaltung wurde ein Antrag geleakt, der die offen rassistischen Positionen im Dachverband offen legte. Es folgten einige Jahre des internen Streits, doch schlussendlich verließ über die Hälfte der Mitgliedsbünde den Dachverband, da ihnen die offen völkische Politik zu weit ging und sie um ihren Ruf zu bangen hatten. Teile der ausgetretenen Bünde gründeten einen neuen Dachverband, die Allgemeine Deutsche Burschenschaft (ADB), der der AfD ebenfalls nahe steht, aber weniger auf der Linie des Höcke-Flügels zu verorten ist.

Als die Marburger Germania im Jahr 2014 den Vorsitz übernahm, versuchte sie, aus der Not eine Tugend zu machen, und steuerte den Dachverband stramm nach rechts. Sie lud zur Jahrestagung als Gastredner den Verleger Götz Kubitschek ein, der die verbliebenen Burschenschafter auf den völkischen Kurs einschwor. Sie sollten die Elite sein, die den Volksaufstand anführen sollte.

Der Begriff der Hegemonie wurde von dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci geprägt. Er beschreibt, dass das Durchsetzen und Halten von Macht nicht unbedingt über Zwang funktioniert, sondern auch Zustimmung braucht. Wenn eine Gruppe die Deutungshoheit erlangen will, muss sie nicht unbedingt die Mehrheit stellen, um andere zu unterdrücken. Sie muss Angebote machen können, um so die anderen davon zu überzeugen, dass es für alle von Vorteil ist, wenn sie die Macht bekommen.

Dass die DB diesen immensen Einschnitt nicht nur im Personal, sondern auch in der Finanzierung auffangen konnte, lag vor allem auch daran, dass sie mit dem völkischen Flügel der AfD zu diesem Zeitpunkt bereits eng verzahnt war. Sie stand vor dem Problem, nun endgültig als die extrem rechte Organisation erkennbar zu sein, die sie seit langem ist, und damit die Karrierechancen ihrer Mitglieder zu gefährden. In diesem Moment konnte die AfD durch ihre Wahlerfolge neue Perspektiven bieten.

Auch in der AfD fanden etwas zeitversetzt Spaltungsprozesse an ähnlichen ideologischen Linien statt, in denen zuerst der Lucke-Flügel und anschließend der Petry-Flügel abgespalten wurden. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren viele Burschenschafter und andere Verbindungsstudenten in der Partei aktiv. Sie waren koordiniert in die Partei eingetreten, wie eine von der Autonomen Antifa Freiburg offen gelegte Chatgruppe zeigte. Im Vorfeld war im burschenschaftlichen Milieu diskutiert worden, ob sich die Partei als neue politische Heimat eignen würde. Die Risiken der Spaltung konnten sowohl für die Partei als auch für den Dachverband aufgefangen, wenn nicht gar provoziert und gegenseitig abgefangen werden.

Selbsternannte Elite im Rechtsruck

Die AfD brauchte aufgrund ihrer Wahlerfolge verlässliches Personal für den schnellen Aufbau ihrer Fraktionen. Die Burschenschafter eigneten sich bestens für die Besetzung von Positionen in der Partei. Studiert, politisch klar ausgerichtet und dank der Erziehung im Korporationswesen hierarchieerprobt und mit dem nötigen Habitus ausgestattet, halfen sie der AfD durch die potenziell riskante Spaltungszeit und zeigten gleichsam ihrem Dachverband eine Perspektive auf.

Dazu verfügen die Burschenschaften über Häuser, die bundesweit als unkündbare Veranstaltungsorte genutzt werden können, und eine Altherrenschaft mit zahlungskräftigen Gönnern, die über das Verbandsblatt erreicht werden und darüber hinaus in Politik, Wirtschaft, Militär und Staatsapparat bestens vernetzt sind.

Die Burschenschaften haben insbesondere in der Phase des Aufbaus des völkischen Netzwerks in und um die AfD eine wichtige Rolle eingenommen: In der Zeit, als die offen völkischen Positionen noch nicht für die gesamte Partei tragbar waren und sich die AfD von den „Identitären“ abgrenzen musste, stellten die Burschenschaften das nötige Bindeglied her. Auf den Häusern leben die Kader des völkischen Netzwerkes ungehindert von formellen Trennungsbeschlüssen zusammen und konnten so den Kampf um die Hegemonie in ihren jeweiligen Organisationen vorantreiben. So konnten sie schlussendlich die Spaltungsprozesse, die zur klaren völkischen Ausrichtung führten, provozieren.

Schweigen auf lokaler Ebene

So sehr die Burschen der Marburger Germania auch bundesweit aktiv sind, in der Stadt spielen sie weiterhin keine Rolle. Ihre Veranstaltungen werden von breiten und massiven Gegenprotesten begleitet. Die Philipps-Universität musste sich mit dem Problem auseinandersetzen, dass sich die Burschenschafter im Studium unauffällig verhalten und daher auch bei Kenntnis über ihre politischen Aktivitäten keine rechtliche Handhabe zur Verfügung steht. In den Geistes- und Sozialwissenschaften schien es fast so, als trainierten die Burschen, sich unauffällig in Räumen zu bewegen, in denen sie mit ihren Positionen in der Minderheit sind. Das Marburger Institut für Politikwissenschaft entschied sich, sich der Verantwortung zu stellen, dass die Kader des Rechtsrucks ihre Ausbildung dort absolvierten, und verabschiedete eine Demokratieerklärung, um Position zu beziehen (1).

Auch wenn die DB eine zentrale Rolle im Netzwerk der extremen Rechten einnimmt, wäre es fatal, nur sie ins Zentrum der Kritik zu stellen. Denn im Zuge der Ausrichtung auf ihre Rolle im rechten Netzwerk ging ihr Einfluss auf das konservative Milieu zurück. Hier sind andere Studentenverbindungen noch immer wesentlich besser verankert.
Es wäre falsch, allen Verbindungsstudentinnen und -studenten qua ihrer Organisation eine Nähe zu extrem rechten Positionen zu unterstellen. Doch wird in den meisten Verbindungen außer den Burschenschaften Politik zur Privatsache erklärt. Das führt in den meisten Dachverbänden dazu, dass sie sich mit den rechten Umtrieben ihrer Bundesbrüder nicht offen auseinandersetzen. Natürlich tragen aber die Verbinder, die sich in dem völkischen Netzwerk organisieren, die Politik in ihre Verbindung und ihren Dachverband. Damit normalisieren sie die Politik des völkischen Netzwerkes und erweitern den Raum des Sagbaren im konservativen Milieu. Solange sich die Dachverbände und Einzelbünde anderer Verbindungstypen also als unpolitisch verstehen, machen sie sich – bewusst oder unwissend – zu Verbündeten der völkischen Kräfte, wie es das konservative Milieu historisch schon immer gemacht hat. Die DB nimmt, so der Verbindungskritiker Lucius Teidelbaum, dabei in der Debatte die Funktion einer Bad Bank ein. Auf sie wird auch innerhalb der Verbindungsszene alle Kritik ausgelagert, anstatt sich mit Rassismus, Sexismus und Antisemitismus vor der eigenen Haustür zu beschäftigen und Stellung dagegen zu beziehen.

Sonja Brasch

(1) Für freie Wissenschaft in einer demokratischen Gesellschaft. Gemeinsame Erklärung des Instituts für Politikwissenschaft Marburg. Download unter dem Shortlink bit.ly/345kfTJ

Eine Langfassung des Textes erschien in der Zeitschrift Lotta. Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen. Sonderdruck Nr 5: Rechts verbunden. Studentenverbindungen im Netzwerk der extremen Rechten. Oberhausen, Dezember 2019. Sie kann unter www.lotta-magazin.de bestellt werden.

Foto: Als Spitzenkandidat der AfD bei der hessischen Landtagswahl 2018 hielt Rainer Rahn die „Petzportale“ der AfD in anderen Bundesländern für nachvollziehbar, allerdings sei so etwas in Hessen nicht geplant. Bisher wurden auch keine Initiativen bekannt. Die AfD in Hamburg richtete ihre Angriffe in der Bürgerschaft vor allem gegen das Kollegium der Ida-Ehre-Schule, mit der sich andere Schulen solidarisierten. Das Foto zeigt Schülerinnen und Schüler der Max-Brauer-Schule. (Foto: Homepage GEW Hamburg)


Was heißt hier „völkisch“?

„Die Deutsche Burschenschaft versteht unter dem deutschen Volk die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und gleiche Sprache verbunden ist (Art. 9 VerfDB). Die deutsche Volkszugehörigkeit ist danach an verschiedene Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur und Bekenntnis geknüpft. Die Abstammung ist somit ein wesentliches, aber nicht das alleinige Merkmal zur Beurteilung der Volkszugehörigkeit. Es ist möglich, dass ein Abkömmling deutscher Volkszugehöriger durch Assimilierung an ein fremdes Volkstum seine deutsche Volkszugehörigkeit verliert. Umgekehrt ist auch denkbar, dass ein Abkömmling fremder Volkszugehöriger durch Assimilation die deutsche Volkszugehörigkeit erwirbt.“ (Rechtsausschuss der Deutschen Burschenschaft 2011)