Sekundarstufe I und II

2019: Zum Koalitionsvertrag in Hessen

„Keine neuen Impulse: Die Koalition führt ihre bisherige Schulpolitik fort.“

Im Bereich der Sekundarstufe I und II wollen CDU und GRÜNE im Wesentlichen ihre bisherige Politik nahtlos fortführen. In ihrem Wahlprogramm forderten die GRÜNEN noch „längeres gemeinsames Lernen und das möglichst lange Offenhalten aller Bildungsabschlüsse“, „ein Zwei-Säulen-Schulmodell“ aus Gymnasien und Gesamtschulen und die „Vereinfachung des Schulsystems“ durch das Angebot an die Schulträger, „Haupt- und Realschulen, Mittelstufenschulen und Kooperative Gesamtschulen schrittweise in Integrierte Gesamtschulen umzuwandeln“. Das alles ist jetzt Makulatur! Die Koalitionsvereinbarung basiert auf dem traditionellen gegliederten Schulsystem mit Gymnasien, Realschulen, Hauptschulen und Förderschulen. Das Wort „Gesamtschule“ taucht auf den 192 Seiten des Koalitionsvertrags tatsächlich nur einmal auf, die Integrierte Gesamtschule überhaupt nicht. „Gestärkt“ werden soll dagegen das hessische Sondermodell der „Mittelstufenschule“, die es in ganz Hessen nur 14-mal gibt (Kooperative Gesamtschulen: 117, Integrierte Gesamtschulen: 119).

„Bei der Umsetzung der bundesweiten Vergleichsstudien (VERA 3 und VERA 8)“ wollen CDU und GRÜNE „Möglichkeiten zur flexibleren Gestaltung“ nutzen, um „den Arbeitsaufwand für die Schulen zu senken und den praktischen Nutzen zu erhöhen“ (S.87). Die von vielen Lehrkräften geforderte Abschaffung der verbindlichen Vergleichsarbeiten wäre die einzige vernünftige Lösung, um Lehrkräfte zu entlasten und Kapazitäten freizusetzen.

Der ländliche Raum findet in fast allen Kapiteln der Koalitionsvereinbarung besondere Aufmerksamkeit – auch in der Schulpolitik. Im Bereich der Berufsorientierung sollen Modelle zur Kooperation zwischen allgemeinbildenden und beruflichen Schulen aus Limburg („Limburger Modell“) und Korbach („ProBe“) auf ganz Hessen ausgeweitet werden. Zweifellos können Schülerinnen und Schüler in der Kooperation mit einer breit aufgestellten Kreisberufsschule unterschiedliche Berufsfelder kennenlernen. In den Ballungsgebieten hingegen differenzieren sich die Berufsschulen nach Berufsfeldern, so dass es nicht möglich ist, in der Kooperation einer allgemeinen und einer beruflichen Schule sowohl kaufmännische als auch handwerkliche Berufe, Gastronomie-, Gesundheits- oder Laborberufe kennenzulernen. So wird aus der bisher oft beklagten „Vernachlässigung des ländlichen Raums“ in der Koalitionsvereinbarung eine Vernachlässigung der großen Städte und ihres Umlands. CDU und GRÜNE wollen zwar „die besten Schulen an den Orten mit den größten Herausforderungen“, doch der Inhalt des gleichnamigen Kapitels enttäuscht: Die Zahl der nach dem Sozialindex zugewiesenen Lehrerstellen wird von derzeit 730 nur minimal auf 800 erhöht. Dass die Zuweisung „passgenauer“ erfolgen soll und eine unbestimmte „Vereinfachung der Berechnung“ angestrebt wird, dürfte kaum zu einer durchgreifenden Verbesserung der Situation der Schulen führen, deren Schülerinnen und Schüler „in überdurchschnittlichem Maß aus bildungsfernen oder sozial benachteiligten Elternhäusern“ kommen. Was können 800 Stellen bei einem Volumen von 54.100 Lehrerstellen tatsächlich bewirken?

CDU und GRÜNE wollen die Unterstützung durch sozialpädagogische Fachkräfte „ausbauen“. Grundschulen mit mindestens 250 Schülerinnen und Schülern und alle Schulen mit dem Bildungsgang Haupt- und Realschule sollen „mindestens eine Stelle“ erhalten. Zusagen für eine Ausweitung der bisher vorhandenen 700 UBUS-Stellen sucht man vergeblich. Vor dem Hintergrund der wachsenden Probleme an den Schulen sind sie leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die neue Landesregierung will die „Möglichkeit eines Parallelangebots von G8/G9 für alle Gymnasien“ erhalten und spricht sich für eine „Flexibilisierung der Ausgestaltungsmöglichkeiten“ aus. Das ignoriert die breite Akzeptanz, auf die G9 seit Jahren trifft. Auch mit der vorgesehenen Prüfung einer „Kostenübernahme der Beförderung für die 10. Klassen der G8-Schüler“, die bisher im Schulgesetz nicht vorgesehen war, sollen weitere Anreize für G8 geschaffen werden.

Das Abitur soll „hinsichtlich seiner Qualität“ weiter gestärkt werden (S.81). „Qualitätssteigernde Maßnahmen“ sollen „in Zusammenarbeit mit Experten“ umgesetzt werden. Angesichts der vielfältigen Umgestaltung des Abiturs durch Kerncurricula und „Kompetenzorientierung“ in der gymnasialen Oberstufe verheißt das wenig Gutes! Erfreulich ist die Ankündigung einer - lange überfälligen – „zusätzlichen Deutschförderung in der Oberstufe“. Dies entspricht dem Gedanken, dass bei der Beschulung von Geflüchteten alle Schulformen einbezogen werden.

CDU und GRÜNE sprechen sich für „einen durchgängigen Politikunterricht auf allen weiterführenden Schulen“ aus. Dazu soll das Fach Politik und Wirtschaft gestärkt werden, das „nicht abwählbar sein“ soll (S.90). Bei einer Abschaffung der Abwahloption in der Oberstufe nach Q2 würden auch die Themenfelder „Internationale Politik“ und „Europa“ wieder für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich. Die alte schwarz-grüne Landesregierung hatte sich für diese GEW-Forderung wenig aufgeschlossen gezeigt. Für die Umsetzung der erfreulichen Ankündigung müssen das Schulgesetz und die Oberstufen- und Abiturverordnung geändert werden.

Rätselhaft ist die Ankündigung im Abschnitt „Entlastung für Schulen und Lehrkräfte“, dass die Lehrerzuweisung, die über die Grundunterrichtsversorgung hinausgeht, „klarer an ihre Wirksamkeit für guten Unterricht“ gebunden werden soll (S. 86). Eine blinde Orientierung am schulischen „Output“, eine Orientierung der Zuweisung an Noten oder Abschlüssen widerspräche allen Ausführungen zum Sozial- und Integrationsindex. Ist damit gemeint, dass man die Möglichkeit begrenzen will, aus dem Zuschlag zur Grundunterrichtszuweisung zusätzliche Leiter- und Leitungsdeputate zu „generieren“, sollte man das auch so schreiben.

Lehrkräfte sollen „durch Verwaltungskräfte von bürokratischen Aufgaben entlastet werden“ (S. 86). „In einem ersten Schritt“ will die Koalition die Schulsekretariate „mit 500 zentral finanzierten Verwaltungskräften“ aufstocken. Wie alle anderen Maßnahmen im Schulbereich steht auch diese Zusage unter Finanzierungsvorbehalt. Zu befürchten ist, dass bei den Lehrkräften nichts ankommen wird oder Stellenausweitungen sogar zu Lasten von Lehrerstellen gehen. Hier muss die GEW dieser Landesregierung auf den Füßen stehen: Nur zusätzliche Stellen sind sinnvoll und zielführend!

Stefan Edelmann und Christoph Baumann

Stefan Edelmann und Christoph Baumann leiten zusammen mit Juliane Kothe das Referat Schule und Bildung im GEW-Landesvorstand.