Zur Vereinbarung zu „Bildungsketten“

Stellungnahme der GEW Hessen

4. Februar 2016

Schreiben der GEW an das HKM | 4. Februar 2016

Antwort des HKM | 14. April 2016

Schreiben an das Hessische Kultusministeriums

Die Hessische Landesregierung hat eine Vereinbarung zur „Durchführung der Initiative Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss 01.08.2015 – 31.12.2020“ mit der Bundesregierung abgeschlossen.

Ziel dieser Vereinbarung ist es, die Übergangsperspektiven von der Schule in eine Berufsausbildung oder auch in ein Studium zu verbessern. Dieses Ziel wird auch von der hessischen GEWunterstützt. Allerdings hat das vorliegende Programm gravierende Mängel, womit es sich als nicht zielführend erweist.

Die GEWHessen hält insbesondere die Verteilung der Fördermittel für einige Maßnahmen für sehr unausgewogen, so dass für sehr viele Schülerinnen und Schüler mit entsprechendem Förderbedarf keine Mittel zur Verfügung gestellt werden und sie damit deutlich benachteiligt werden.

Grundsätzlich fordert die GEW Hessen, dass Fördermittel allen Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf zur Verfügung gestellt werden. Ansonsten erfahren die nicht Geförderten eine weitere Benachteiligung und sind somit doppelt benachteiligt. 

Die GEWkritisiert an dem Programmpunkt „Praxisbezogene Berufsorientierung“, dass die meisten Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe, die entsprechende Unterstützung bräuchten, leer ausgehen. 

Denn wesentliche Mittel gibt es hier nur für zwei Bereiche: Die Mittelstufenschulen und das Programm Praxis und Schule (PuSch).

Schulformbezogen wird nur eine Schulform, die Mittelstufenschule, ein hessisches Unikum, explizit aus diesen Mitteln unterstützt. Bisher gibt es hessenweit nur 13 Mittelstufenschulen (bei 705 allgemeinbildenden Schulen ohne Grundschulen in Hessen). Eine Mittelstufenschule besuchten im Schuljahr 2014/2015 nur 0,7% (3.236) der hessischen Schülerinnen und Schüler, gegenüber 12.455 in Hauptschulen, 104.370 in Kooperativen Gesamtschulen (KGS), 75.164 in Integrierten Gesamtschulen (IGS) und 42.008 in Realschulen (Alle Zahlen: Hessisches Statistisches Landesamt, Die allgemeinbildenden Schulen in Hessen 2014 Stand: 01.11.2014).

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass dieses Modell keine Akzeptanz bei den Schulträgern erreichen konnte. In den meisten Regionen Hessens kommt es nicht vor. So versucht die Landesregierung mit Bundesmitteln ihr gescheitertes bildungspolitisches Projekt „Mittelstufenschule“ durch massive Finanzspritzen am Leben zu halten. Die ausschließliche Förderung dieser Schulform ist vor diesem Hintergrund ein Skandal!

Unterstützungsmittel gibt es u.a. noch für das PUSCH-Programm, was allerdings im Bereich PUSCH-A nur an Hauptschulen oder Hauptschulzweigen der KGSen finanziert wird. IGSen ohne abschlussbezogene Klassen gehen leer aus. Leidtragende sind insbesondere die Schülerinnen und Schüler mit der Prognose Hauptschule an den IGSen. Große Regionen bleiben zusätzlich ganz ohne Förderung, wenn – wie z.B. in Frankfurt – Hauptschulen abgeschafft werden.

Forderung der GEW ist es deshalb, allen Schulen mit Schülerinnen und Schülern, die nach Klasse 9 oder 10 eine Ausbildung anstreben, die Chance zu geben, Fördermittel aus dem „Bildungsketten“-Programm zu erhalten.

Zum Programmpunkt „Individuelle Begleitung der Jugendlichen im Übergang Schule-Beruf“ weisen wir darauf hin, dass die Berufseinstiegsbegleitung (BerEb) – eine sinnvolle Unterstützungsmaßnahme – nur den Schulen auch weiterhin zur Verfügung steht, die sie auch in den letzten Jahren anbieten konnten. In Frankfurt z.B. sind das im Bereich der Sekundarstufe nur drei IGSen, die in der Vergangenheit „Gemeinsamen Unterricht“ für Behinderte und Nichtbehinderte angeboten haben. Sie haben bis zu drei Berufseinstiegsbegleiter und -begleiterinnen an ihren Schulen. Mittlerweile führen alle zwölf Frankfurter IGSen inklusiven Unterricht durch und haben, neben den Kindern mit besonderem Förderbedarf, die meisten Schülerinnen und Schüler im Bildungsgang Hauptschule. Unterstützung durch Berufseinstiegsbegleitung gibt es jedoch nicht.

Forderung der GEW ist es, allen Schulen mit Schülerinnen und Schülern, die nach Klasse 9 oder 10 eine Ausbildung anstreben, die Chance zu geben, Berufseinstiegsbegleitung zu erhalten. Ein Muss ist die bedarfsgerechte Zuweisung für Berufseinstiegsbegleitung für alle Schulen, die inklusiv arbeiten.

Zum Thema „Kompetenzfeststellung“ heißt es in der Vereinbarung: „Das BMBF fördert die Potenzialanalyse „KomPo7“ an allgemeinbildenden Schulen mit den Bildungsgängen Haupt- und Realschule bis 31.12.2018. Für diese Schulen scheidet eine darüber hinaus gehende Förderung von Potenzialanalysen im Rahmen des BOP aus.“ Dass im Bereich der Potentialanalyse alleine „KomPo7“ gefördert wird, obwohl dieses Verfahren bei Lehrkräften und Fachleuten umstritten ist, ist sachlich nicht zu begründen. Was könnte es also für Gründe geben? Das Bildungswerk der hessischen Wirtschaft ist der einzige Anbieter in Hessen für Fortbildung und Unterstützung dieses Verfahrens. Der Verdacht der einseitigen Begünstigung dieser Einrichtung ist nicht von der Hand zu weisen.

Hinzu kommt, dass der überwiegende Teil der Kompetenzfeststellung, entgegen allen Standards im Bereich der Potentialanalysen, von Lehrkräften durchgeführt werden soll, obwohl diese aufgrund ihrer Voreinstellung und Sicht auf die Schülerinnen und Schüler aus der Unterrichtsperspektive dafür am wenigsten geeignet sind. Weil das einzelne Schulträger auch so sehen, unterstützen Sie ihre Schulen mit erheblichen zusätzlichen Mitteln, um in Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe an der Schule andere Verfahren durchzuführen.

Positive Umsetzungsbeispiele auch in Kooperation mit dem BMBF finden sich in anderen Bundesländern, z.B. NRW: Dort gibt es 200 Euro pro Schüler/Schülerin, die Schulen können sich aus einer vom Land erstellten Liste mit Anbietern von Verfahren zur Potentialanalyse einen aussuchen.

Die GEW stellt fest: Potentialanalyse und Kompetenzfeststellung sind keine Aufgabe der Lehrkräfte, sondern müssen von externen Fachleuten und/oder der Jugendhilfe an der Schule durchgeführt werden.

Ähnlich wie in anderen Bundesländern müssen auch den hessischen Schulen Mittel für die Potentialanalyse pro Kopf der infrage kommenden Schülerinnen und Schüler zugewiesen werden. Es muss den Schulen überlassen werden, einen Träger für die Potentialanalyse /Kompetenzfeststellung auszusuchen.

Über eine Stellungnahme zu den von der GEW aufgezeigten Punkten würden wir uns freuen, noch mehr über eine Unterstützung unserer Forderungen.
Mit freundlichen Grüßen


Maike Wiedwald, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen


1 Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland (Bund), vertreten durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Bundesagentur für Arbeit (BA), vertreten durch die Regionaldirektion Hessen (RD Hessen) und dem Land Hessen vertreten durch das Hessische Kultusministerium (HKM) und das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (HMWEVL).