Abordnung oder Beauftragung?

Der Streit um die Mitbestimmung im Inklusiven Unterricht

HLZ 6/2019: Sonderpädagogische Förderung

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen von 2019 ist zu lesen: „Statt die Förderschulpädagogen teilweise mit einigen wenigen Stunden an vielen allgemeinen Schulen einzusetzen, wollen wir sie möglichst mit allen Stunden an nur einer allgemeinen Schule einsetzen.“ Diese Ankündigung, die sich fast wortgleich im Koalitionsvertrag von 2013 findet, erfolgt vor dem Hintergrund des Streits um die Frage, ob Förderschullehrkräfte, die ihre Stammdienststelle an einer Förderschule oder einem Beratungs- und Förderzentrum (BFZ) haben, für ihren Einsatz an den allgemeinen Schulen „abgeordnet“ werden oder der Einsatz im Rahmen einer „Beauftragung“ erfolgt und lediglich den Charakter einer „Dienstreise“ hat. Die Gesamtpersonalräte der Lehrerinnen und Lehrer (GPRLL) bestehen dabei auf ihrem Mitbestimmungsrecht bei Abordnungen, während das Kultusministerium mit Unterstützung der BFZ-Leitungen und vieler Lehrkräfte der BFZ eine „Beauftragung“ favorisiert.

Worum geht es? Die meisten Förderschullehrkräfte in Hessen haben ihre Dienststelle inzwischen an einer Förderschule bzw. einem angeschlossenen BFZ. Viele werden im Rahmen des inklusiven Unterrichts (IU) an Regelschulen eingesetzt, zu einem kleinen Teil für die inklusive Beschulung (IB), zu einem weitaus größeren Teil zur Durchführung vorbeugender Maßnahmen (VM). Bei dem Einsatz dieser Lehrkräfte handelt es sich nach Auffassung der GPRLL um Abordnungen.

Nach dem Hessischen Personalvertretungsgesetz (HPVG) bestimmt der GPRLL bei derartigen Abordnungen mit. Die meisten Schulämter umgehen die Mitbestimmung in diesem Bereich und argumentieren, bei dem Einsatz der Förderschullehrkräfte insbesondere im Bereich VM handle es sich nicht um Abordnungen, sondern um sogenannte „Beauftragungen“ oder „Entsendungen“, die nicht mitbestimmungspflichtig seien. GPRLL halten dem entgegen, für die Frage der Mitbestimmung sei es unerheblich, wie die Schulämter die Maßnahmen bezeichnen. Die GPRLL verweisen dabei insbesondere auf den mit den jeweiligen Maßnahmen verbundenen Wechsel der Dienststelle durch die BFZ-Kräfte, auf die Kontinuität ihres Einsatzes in den Regelschulen und ihre Einbindung in den jeweiligen Dienstbetrieb. Sie halten es für grotesk, dass ihnen außerhalb der sonderpädagogischen Förderung selbst Teilabordnungen von Lehrkräften in einzelnen Fächern im Umfang weniger Stunden zur Mitbestimmung vorgelegt werden, während wesentlich bedeutsamere, umfänglichere und ebenfalls auf Kontinuität angelegte Maßnahmen im Bereich des IU der Mitbestimmung entzogen werden.

Viele BFZ-Kräfte sehen dagegen in den Beratungs- und Förderzentren ihre „sonderpädagogische Heimat“ (HLZ S.9). Sie befürchten, diese Heimat zu verlieren, und haben den Eindruck, die GPRLL wollten sie an Regelschulen abordnen und damit von „ihren“ Förderschulen „wegbringen“. Die Befürchtungen sind jedoch unbegründet, denn die GPRLL können nie selbst eine Abordnung auf den Weg bringen. Sie fordern jedoch, dass Schulämter, wenn sie Abordnungen vornehmen, diese dem GPRLL als zuständigem Personalrat zur Zustimmung vorlegen, wie es das HPVG vorschreibt, und dass sie die Beteiligung des GPRLL nicht dadurch umgehen, dass sie Abordnungen anders benennen.

Die BFZ-Kräfte begründen ihre Befürchtung vor allem damit, dass sie mit einer Abordnung den Schulleitungen der Regelschulen unterstellt und damit für Vertretungsunterricht und andere ihrem sonderpädagogischen Unterstützungsauftrag nicht entsprechende Tätigkeiten „vereinnahmt“ werden könnten. Sie nehmen an, dass der Umstand, nicht formell abgeordnet zu sein, sie davor schützt, weil sie dann nicht den Weisungen der Schulleitung der Regelschulen unterworfen seien. Tatsächlich ergibt sich die Weisungsgebundenheit gegenüber der Schulleiterin oder dem Schulleiter der Regelschule jedoch schon allein aus der Dienstordnung. Probleme können dann entstehen, wenn Weisungen der Schulleitung im Widerspruch zum Auftrag der BFZ-Kraft stehen. Solche Konflikte gibt es. Sie sind nicht dadurch zu vermeiden, dass Personalräten ihr Mitbestimmungsrecht genommen wird. Sie müssen vor Ort ausgetragen und gelöst werden. Wo dies nicht möglich ist, ist es die Aufgabe der GPRLL als Interessenvertretung für alle Lehrkräfte, die Probleme beim Schulamt vorzutragen und einer Lösung zuzuführen. Einige GPRLL haben bereits Dienstvereinbarungen zum Schutz der BFZ-Kräfte abgeschlossen.

Personalräte sind nach dem HPVG dazu verpflichtet, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Beschäftigten erlassenen Gesetze eingehalten werden. Die Gesamtpersonalräte orientieren sich – gerade bei Abordnungen und Versetzungen – grundsätzlich an den Interessen der Kolleginnen und Kollegen. Sie sprechen vor jeder Entscheidung mit den betroffenen Lehrkräften und den örtlichen Personalräte. Sie fordern ihr Mitbestimmungsrecht im Bereich der sonderpädagogischen Förderung deshalb gerade im Interesse der an die Regelschulen abgeordneten Kolleginnen und Kollegen ein. Die GPRLL in Wiesbaden und Bebra haben zur Klärung der strittigen Rechtsfrage die zuständigen Verwaltungsgerichte angerufen, so dass ein baldiges Ende des Streits zu erhoffen ist.

Johannes Batton

Johannes Batton ist Vorsitzender des Gesamtpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer im Bereich des Staatlichen Schulamts für den Kreis Hersfeld-Rotenburg und den Werra-Meißner-Kreis und war Mitglied im GEW-Bezirksvorstand Nordhessen.