Professionalität als Basis 

Multiprofessionelle Teams brauchen Wertschätzung

Multiprofessionelle Teamarbeit in Schule kann sehr vieles bedeuten. Den einen scheint sie bereits gegeben, wenn Unterrichtsinhalte für eine Jahrgangsstufe von Lehrkräften verschiedener Lehrämter gemeinsam entwickelt werden, andere verstehen darunter die konkrete Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen in der Klasse. Als Sozialpädagogin habe ich rund 30 Jahre Erfahrung an einer Schule gesammelt, die als Verbundschule Modellschule für Integration war. Die Chance der durchgehenden Doppelbesetzung hat es ermöglicht, dass die Integration niemals an der Form oder Schwere einer Behinderung gescheitert ist. Dort wo Pädagoginnen und Pädagogen den Tag mit den Schülerinnen und Schülern verbringen können, wird es zur Selbstverständlichkeit, dass die Erwachsenen für alle da sind und auch die entspannten Momente miteinander teilen.

Eine mit einem deutlichen Ressourcenvorbehalt verbundene Inklusion erzeugt dagegen Konflikte. Wenn „besondere“ Lehrkräfte und sozialpädagogische Fachkräfte nur für kurze Zeit einfliegen, um dem „besonderen“ Kind „besonders“ schwierige Lerninhalte nahezubringen oder nur zur „besonderen“ Beratung der Lehrkraft der allgemeinen Schule zur Verfügung zu stehen, hat das mit meinem Verständnis von multiprofessioneller Teamarbeit nicht viel zu tun: zu viel Besonderes, das Inklusion entgegensteht, und zu wenig gemeinsames Leben und gemeinsames Lernen.

Professionalität ist die Basis der Multiprofessionalität. Sie ist eine der wesentlichen Gelingensbedingungen für Inklusion. Lehrkräfte, die es über Jahre gewohnt waren, allein zu unterrichten, bescheiden sich oft mit einer „Assistenz“ ohne pädagogische Profession, in der Hoffnung, dadurch Entlastung zu erfahren. Ebenso neigen Eltern von Kindern mit Behinderung bei ihrem berechtigten Wunsch nach inklusiver Bildung und Erziehung dazu, bei der Professionalität für pädagogische Aufgaben Abstriche zu machen. Die GEW Hessen hält dagegen in ihren Beschlüssen an der Professionalität aller Beteiligten fest: der Lehrkräfte und der sozialpädagogischen und therapeutischen Fachkräfte. Zum Respekt gegenüber den verschiedenen Professionen gehört es auch, dass bei den persönlichen Assistenzen, den Integrationshelferinnen und Integrationshelfern, der persönliche Bezug zum einzelnen Kind gewahrt bleibt und diese nicht als Assistenz der Lehrkräfte im Unterrichtsgeschehen missbraucht werden.

Die Teamarbeit kann dann erfolgreich sein, wenn genug Zeit und Raum für eine gute Arbeitsatmosphäre vorhanden ist und die Beziehungsebene zwischen den beteiligten Personen Beachtung findet. Toleranz, Akzeptanz und Wertschätzung für die jeweils andere Profession und eine Feedback-Kultur ermöglichen auch konstruktive Kritik. Teams, die aufgrund hierarchischer Strukturen allzu schnell einer Meinung sind, schaden der Professionalität und bringen sich um den Genuss kontroverser Fachdiskussionen und die Früchte der Vielfalt von Ideen und Handlungsstrategien. Der „Index für Inklusion“ bietet viele Anregungen für Teams, ihre tatsächlichen Haltungen zur inklusiven Arbeit mit Schülerinnen und Schülern auch innerhalb des Teams zu überprüfen (1). 

Schule steht noch in den Anfängen einer multiprofessionellen Teamarbeit, bei der sich verschiedene Professionen auf Augenhöhe entfalten können. Eine in dieser HLZ auf Seite 17 abgedruckte Übersicht mit möglichen „Fehlentwicklungen der Integration“ und „Perspektiven der Inklusion“, die aus dem beachtenswerten „Teambuch Inklusion“ stammt, beschreibt es als „Fehlentwicklung“, wenn „das Personal“ zur „Unterstützung für Kinder mit besonderem Bedarf“ eingesetzt wird und nicht zur „Unterstützung für Klassenlehrer, Klasse und Schule“ im Rahmen einer „abgestimmten Klassenführung“. Ich würde lieber davon sprechen, dass das gesamte Personal im inklusiven Unterricht für alle Kinder, für die gesamte Klasse da ist. Die Formulierung, dass das „Personal“ für „den Klassenlehrer“ da sein soll, schießt nicht nur über das Ziel hinaus, sondern lässt auch die notwendige Wertschätzung im Rahmen multiprofessioneller Teams vermissen und ist im Verständnis von inklusiver Teilhabe geradezu kontraproduktiv. Der Klassenlehrer oder die Klassenlehrerin sind Teil des „Personals“ und diesem nicht hierarchisch übergeordnet. 

Multiprofessionelle Teams brauchen Moderation, Struktur und Supervision. Alle Professionen dienen dem gemeinsamen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Alle Kolleginnen und Kollegen sind für ihre jeweilige Profession und den Erhalt ihrer Professionalität verantwortlich. Die notwendige Moderation kann, muss aber nicht zwingend vom Klassenlehrer oder der Klassenlehrerin übernommen werden. Sie kann auch im multiprofessionellen Team wechseln oder themen- oder projektbezogen übernommen werden. Die Autorinnen und Autoren des „Teambuchs Inklusion“ wollen die Klassenlehrerin beruhigen, dass sie in festen Teams, „die nach einem Inklusionsmodell arbeiten“, keinesfalls „ihre bedeutende Rolle als ‚Chefin‘“ verliert (HLZ S.17). Ich glaube genau im Gegenteil, dass sich Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer keinesfalls in diese Rolle begeben müssen oder dass sie sich in dieser Rolle tatsächlich wohl fühlen – ob mit oder ohne Anführungszeichen. Im Gegenteil: In einer geteilten oder wechselnden Verantwortung für die Moderation eines Teams steckt die Chance für eine Entlastung.

Moni Frobel
Referat Sozialpädagogik im GEW-Landesvorstand

(1) Tony Booth und Mel Ainscow: Index für Inklusion. Herausgegeben von Bruno Achtermann u.a. Beltz Verlag: 2017