50 Jahre BAföG: Talfahrt stoppen

Gerechtigkeitslücken schließen, Stukturreformen anpacken

HLZ 12/2021: Studieren in Hessen

Das BAföG trat vor 50 Jahren in Kraft mit dem Ziel, eine Ausbildungsfinanzierung zu schaffen, die Chancengleichheit im Bildungswesen ermöglicht. Aber das BAföG hält sein Versprechen nicht ein: Es ist zu niedrig, es führt zu Verschuldung, es erreicht zu wenig Personen und insbesondere die Personen nicht, die es am dringendsten bräuchten. Um diesem Missstand zu begegnen, hat sich ein Bündnis gegründet, um das Thema BAföG in den politischen Diskurs zu rücken. Es fordert eine radikale Reform!

Das BAföG wird 50! Das Bundesausbildungsförderungsgesetz – kurz BAföG – trat 1971 in der BRD in Kraft und löste damit sein Vorgängermodell ab. Sein erklärtes Ziel in seiner ursprünglichen Form war es, Schüler:innen und Studierenden aus einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten bei der Finanzierung ihrer Ausbildung unter die Arme zu greifen. So war es ursprünglich als ein Vollzuschuss konzipiert und mit einem Rechtsanspruch verbunden.
Dies schlug sich in den Quoten der Bezieher:innen nieder: Vor 50 Jahren bezogen noch 44,6 % aller Studierenden das BAföG, fast die Hälfte derer, die sich einschrieben, profitierten von der Finanzierung.

Gefördertenquote auf historischem Tiefstand
Heute sieht die Situation anders aus: Über die Jahrzehnte sank die Gefördertenquote bis 2021 auf einen historischen Tiefstand von nur noch 11 % der Studierenden, bei Schüler:innen sind es gerade einmal 1,5 %. Auch wenn ausländische Studierende aus der Gesamtzahl immatrikulierter Studierender herausgerechnet werden wie dies die Gegner:innen eines BAföG-Ausbaus fordern, ändert sich an dieser Bilanz nur ganz wenig.

Auch der kontinuierliche Anstieg der Zahl der Studierenden in Deutschland und die Tatsache, dass immer mehr Studierende aus sozio-ökonomisch benachteiligten Hintergründen an die Hochschulen streben, führen nicht zu einer Erhöhung der Gefördertenquote: Im Gegenteil, sie sinkt, obwohl mehr Menschen aus finanziell benachteiligten Haushalten studieren.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verweist darauf, dass viele an sich Förderberechtigte keinen Antrag stellen und die Zahlen deshalb so niedrig seien. Der wahre Grund, dass die Inanspruchnahme so niedrig ist, ist jedoch in der Struktur des BAföG zu suchen. Historisch zeigt sich eindeutig, dass die Gefördertenquote durch bestimmte gesetzliche Entscheidungen stark beeinflusst wird. Nach Abschaffung des Vollzuschusses im Jahr 1974 und der Einführung des Schuldenzwangs bei Bezug im Jahr 1982 sank die Gefördertenquote besonders stark. Auf der anderen Seite war sie während des Vollzuschusses besonders hoch. Das ist logisch, da die Angst vor Verschuldung das höchste Hemmnis nicht nur der Inanspruchnahme der Finanzierung darstellt, sondern sogar für das Studieren an sich! Die Elternfreibetragsgrenze, die regelt, wann BAföG in Anspruch genommen werden kann, muss als weiteres strukturelles Problem gewertet werden. Die Elternfreibeträge erfassen die unteren und mittleren Mittelstandsschichten kaum und müssten daher massiv erhöht werden, damit das BAföG wieder mehr Menschen in der unteren und mittleren sozioökonomischen Schicht erreicht.

Die Architektur des BAföG bröckelt
Die Architektur des BAföG bröckelt auch deshalb, weil der Höchstsatz des BAföG, der derzeit bei 861 Euro liegt und den auch nicht alle Beziehenden in voller Höhe erhalten, kaum zum Leben ausreicht. So reicht die Wohnkostenpauschale von 325 Euro in den wenigsten Universitätsstädten noch, um ein WG-Zimmer zu zahlen. Ursprünglich sollte anhand der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) alle zwei Jahre überprüft werden, wie hoch der Bedarf der Beziehenden ist. Doch die schleppende Erhöhung gegenüber den immer stärker steigenden Lebenskosten führt dazu, dass das BAföG einen viel zu geringen Satz hat.

Mit den viel zu niedrigen BAföG-Sätzen befasste sich kürzlich auch das Bundesverwaltungsgericht in den Beratungen über eine Klage aus dem Wintersemester 2014/2015 und kam dabei zu einem eindeutigen Urteil:
„Nach Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Festlegung des Bedarfssatzes (…) mit dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten nicht vereinbar.“
Das Bundesverwaltungsgericht legte diese Auffassung dem zuständigen Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Auch dieses Urteil unterstreicht nochmals, wie notwendig die deutliche Anhebung der Sätze ist. Die GEW hat deshalb im Mai 2021 ihren studentischen Mitgliedern empfohlen, Widerspruch gegen ihren letzten BAföG-Bewilligungsbescheid einzulegen und so die Ansprüche für die Nachzahlungen für den Fall zu sichern, dass das Bundesverfassungsgericht dem Bundesverwaltungsgericht in seiner Argumentation folgt.

Vor dem Hintergrund des niedrigen Satzes und der vielen Studierenden, die in der Corona-Krise in eine Notlage geraten sind, ist es zynisch, dass das BMBF fast eine Milliarde an nicht ausgegebenen Geldern an das Finanzministerium zurückgegeben hat. Es ist deutlich geworden: Das BAföG ist nicht krisenfest. Durch das jahrelange Herunterwirtschaften, durch die versagte Öffnung des BAföG und angesichts von Corona-Soforthilfen von maximal 500 Euro sahen sich viele Studierende gezwungen, auf ein kreditbasiertes Studienfinanzierungsmodell zurückzugreifen.

Der KfW-Studienkredit, den das BMBF in der Corona­krise ausgebaut hat, ist ein echter Krisengewinner der Coronapandemie, die KfW-Kreditanträge haben sich zwischen 2019 und 2020 vervierfacht. Dabei handelt es sich nach Vergleichsuntersuchungen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) um den teuersten Studienfinanzierungskredit. Akademische Bildung wird so zur Ware. Dieser Tendenz gilt es sich mit aller Macht entgegenzustellen.
Das BAföG als Herzstück der Studienfinanzierung muss krisenfest gemacht werden und endlich wieder an den Lebensrealitäten und Bedarfen der Studierenden und Schüler:innen ansetzen, von denen es sich im Laufe der 50 Jahre seines Bestehens schrittweise abgekoppelt hat.

Bildungsgerechtigkeit beginnt in der Schule
Die Probleme des BAföG sind offenkundig: Neben der deutlichen bedarfsgerechten Anhebung der Sätze, der Umwandelung in einen Vollzuschuss und der Anpassung der Elternfreibeträge muss das BAföG auch wieder für Schüler:innen ab Klasse 10 geöffnet werden. Bildungsgerechtigkeit beginnt in der Schule. Die Hürden für das Schüler:innen-BAföG sind so hoch, dass sie kaum zu überwinden sind. Das muss sich ändern! Die finanzielle Situation der Eltern darf nicht darüber entscheiden, wer über die 9. Klasse hinaus die Schule besuchen kann. Ferner muss das Studium an deutschen Hochschulen für alle Studierenden unabhängig von ihrer Herkunft förderfähig werden. Die Förderdauer muss erhöht werden, Barrieren durch Altersgrenzen oder Bürokratie müssen abgeschafft werden.

Deshalb muss die neue Bundesregierung eine Strukturreform liefern, damit das Gesetz dem Grundrecht auf freie Berufswahl in vollem Umfang Rechnung tragen kann. Auf dem Weg des BAföG zu einem elternunabhängigen staatlichen Studienhonorar muss es in ein Sockelmodell umgebaut werden, das einen elternunabhängigen Betrag beinhaltet, der sukzessive erhöht werden muss. Doch dies kann nur geschehen, wenn das BAföG und seine Problematik im bildungspolitischen Diskurs wahrgenommen und auf die politische Agenda gesetzt werden.

Auch beim Thema BAföG befinden wir uns während der Verhandlungen über eine Ampel-Koalition in einer spannenden Zeit: Im viel beschworenen Sondierungspapier lässt der einzige Satz zum BAföG zwar auf eine Strukturreform hoffen, doch geht dieser Satz merklich wenig ins Detail: „Das BAföG wollen wir reformieren und dabei elternunabhängiger gestalten.“

Das lässt zwar auf Veränderung hoffen, aber in welche Richtung wird sie gehen? Wird das gesamte BAföG elternunabhängig oder nur ein Sockel? Wie hoch kann ein solcher Sockel angehoben werden, dass er nicht einem Tropfen auf einem heißen Stein gleicht? Soll dieser dann als Vollzuschuss gewährt werden? Gerade für Kinder aus Arbeiter:familien ist ein Berufsstart mit Schuldenberg ein Hemmnis, Anträge zu stellen. Unter den Koalitionsparteien liegen die Auffassungen sichtlich auseinander: Die Grünen priorisieren die Eltern­unabhängigkeit, die SPD den Vollzuschuss, der wiederum der FDP ein Dorn im Auge ist.

BAföG-Bündnis für Kurswechsel
Wie auch immer eine neue Regierung das BAföG gestaltet, sie wird vom Bündnis #BAföG50 kritisch begleitet, das im letzten Jahr seiner Forderung nach substanziellen Reformen, Vollzuschuss, Elternunabhängigkeit, deutlicher Anhebung und Öffnung für Schüler:innen lautstark Ausdruck verlieh.
Das Bündnis #BAföG50 hat sich im Dezember 2020 gegründet. Im Bündnis sind verschiedene studentische, gewerkschaftliche und politische Jugendorganisationen aktiv, darunter auch die GEW-Studis. Unser gemeinsames Ziel ist es, allen Menschen die Bildung zu ermöglichen, die sie wollen. Mündigkeit lässt sich nur mit einer selbstbestimmten Bildung erreichen. Wer den Kampf für ein besseres BAföG unterstützen möchte, sollte auch die entsprechende Petition unterstützen: bafoeg50.de/petition/.

Nathalie Schäfer