Lehr- und Lernbedingungen des kommenden Sommersemester

Offener Brief der GEW-Studis Marburg

Sehr geehrtes Präsidium der Philipps-Universität, sehr geehrte Lehrende,

Mit Sorge betrachten wir als Student*innen und junge Beschäftigte die Planungen für den
Semesterbeginn am 20. April 2020.

Trotz aller Schwierigkeiten, die jede*n von uns doch in sehr unterschiedlicher Weise betreffen und
unser Leben einschränken, müssen auf die Herausforderungen, die nun an die Lehre und Forschung
gestellt werden und damit auch an Sie, die richtigen Konsequenzen und Handlungen folgen.
Dass wir so kurz vor Semesterstart immer noch nicht ausreichend Informationen über das
Sommersemester haben, sehen wir kritisch und es befeuert unsere Unsicherheiten!

Ihre bisherigen Planungen darüber, wie die Digitale Lehre im kommenden Semester aussehen wird,
trifft die Schwächsten unter uns, weil ihnen die technischen, finanziellen und gar zeitlichen Mittel
in dieser Krisenzeit nicht zur Verfügung stehen. So schließen Sie mit ihrer Planung all diejenigen
aus, die über keine moderne technische Ausstattung, keine verlässliche Internetverbindung, keine
Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder auch gar keine Einnahmequelle mehr verfügen, weil
sie ihren Nebenjob verloren haben oder von ihren Eltern aufgrund von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit
oder Einnahmeausfall keine Förderung erhalten. Deshalb stehen einige Student*innen neben der
Unsicherheit im Studium auch vor Existenzproblemen, die in den Planungen des nächsten
Semesters keine Rücksicht erfahren. Auch den damit verbundenen psychischen Belastungen werden
nicht ausreichend Rechnung getragen.

Darüber hinaus fragen wir uns: Inwiefern geht durch E-Learning das verloren, was einen
wesentlichen Teil unseres Studiums ausmacht - gemeint sind die partizipativen Formen der
Seminargestaltung und das Zusammenkommen mit Kommiliton*innen. Universität lebt vom
Austausch, welcher durch Formen des E-Learnings nicht im gleichen Maße stattfinden wird. In
vielen Bereichen der universitären Lehre ist der Umstieg auf digitales Lernen gar nicht möglich,
wie es auch bei abgesagten oder verschobenen Praktika der Fall ist.

Aus allen diesen Gründen begrüßen wir das "Gemeinsame Schreiben der Wissenschaftsministerin
und der Hochschulpräsidentinnen und Hochschulpräsidenten", wo es heißt "Studierende, die keine
oder nicht alle vorgesehenen Leistungen aufgrund der Folgen der Covid-19-Pandemie erbringen
können, sollen grundsätzlich keine Nachteile erfahren." Es bleibt dabei aber weiterhin unklar, wie
dies konkret umgesetzt werden soll.

Wir fordern deshalb, dass alle Student*innen im eigenen Ermessen entscheiden können, inwieweit
sie das Lehrangebot im Sommersemester wahrnehmen möchten und, dass zu diesem Zweck das
Sommersemester grundsätzlich nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet wird! Prüfungsversuche
sollten Freiversuche sein und im Falle eines Nichtbestehens so zählen, als wären sie nie angetreten
worden. Die Goethe-Universität in Frankfurt macht beispielhaft vor, wie erste Schritte zur
Minderung der Nachteile für Lehrende und Student*innen aussehen könnten.

Wir fordern Transparenz seitens der Universität in Bezug auf die Fragen der Umsetzung:

  • Wie geht die Universität mit Student*innen um, die aufgrund von Corona-bedingtenExistenznöten nicht studieren können?
  • Wieso wurde ein "Ausnahme-" bzw. ein "Nicht"-Semester nicht in Betracht gezogen?
  • Was ist mit Student*innen, die keinen Zugang zu einem PC oder einer ausreichenden Internetverbindung haben?
  • Werden Regelungen grundsätzlich dezentral getroffen oder stellt die Universität einheitliche Richtlinien zum kommenden Semester fachbereichsübergreifend auf?
  • Wie kann Qualität von Lehre auch ohne aktive Beteiligung der Student*innen erhalten bleiben?
  • Welche E-Learning Möglichkeiten gibt es? Wie wird der Umgang mit ihnen "gelehrt"? Und sind diese überhaupt ausreichend für die Inhalte der Lehrveranstaltungen?
  • Gab es einen Austausch mit der Goethe-Universität in Frankfurt bezüglich der möglichen Alternativlösung in Form eines Ausnahmesemesters? Welche Maßnahmen könnte sich die Universität vorstellen zu übernehmen?

Wir fordern eine Plattform, auf der Student*innen mit der Universität ins Gespräch kommen
können und ein gegenseitiger Austausch hinsichtlich Wünschen, Sorgen und Ideen zum
kommenden Semester ermöglicht wird. Da die bisherigen Entscheidungen in der Krise mit
mangelhafter studentischer Mitbestimmung gefallen sind, wurde auf die Interessen der
Student*innen zu wenig eingegangen. Deshalb fordern wir eine angemessene Beteiligung von
Vertreter*innen der Verfassten Student*innenschaft auch im Krisenstab der Universität.

Wir solidarisieren uns offen mit den Forderungen aus dem Studentischen Forderungskatalog zur
Lage der Hochschulen "Solidarsemester 2020". Und wir fordern Sie auf diese in Ihre zukünftigen
Planungen mit aufzunehmen und erwarten hoffnunsgvoll zeitnahe Handlungen und Antworten.

Mit freundlichen Grüßen,

Die GEW-Studis Marburg