Mehr als Weiterbildung für den Beruf

Die GEW und die Nationale Weiterbildungsstrategie

HLZ 12/2019: Erwachsenenbildung

Vollmundig verkündete das gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Juni 2019 ein zuvor im Konsens erarbeitetes Papier zur „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ (NWS):
„Mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie legen Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften und die Bundesagentur für Arbeit gemeinsam den Grundstein für eine neue Weiterbildungskultur. Damit gibt es zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine nationale Weiterbildungsstrategie.“
Genauere Anforderungen skizziert der 2018 zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarte Koalitionsvertrag auf Bundesebene:
„Mit dem Ziel, breiten Bevölkerungsteilen einen beruflichen Aufstieg zu erleichtern, die Fachkräftebasis zu stärken und die Beschäftigungsfähigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt nachhaltig zu fördern, wollen wir gemeinsam mit den Sozialpartnern und in enger Abstimmung mit den Ländern (und allen anderen Akteuren) eine Nationale Weiterbildungsstrategie entwickeln. Ein Ziel ist, alle Weiterbildungsprogramme des Bundes und der Länder zu bündeln, sie entlang der Bedarfe der Beschäftigten und der Unternehmen auszurichten und eine neue Weiterbildungskultur zu etablieren. Über die Bundesagentur für Arbeit erhalten alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Recht auf Weiterbildungsberatung.“

Tatsächlich konnte der ambitionierte Zeitplan der Bundesregierung bislang eingehalten werden: Im November 2018 fand die NWS-Auftaktsitzung statt, von Herbst 2018 bis Sommer 2019 wurde ein erster Entwurf erarbeitet. Im Sommer 2019 wurde die NWS bei Treffen auf Spitzenebene beschlossen. Bis zum Winter 2020 soll der Beschluss umgesetzt werden und im Frühjahr 2021 will man über den Stand der Umsetzung beraten.

Zwischen der Auftaktveranstaltung im November 2018 und der Verkündung des Strategiepapiers lagen sieben Monate, in denen das BMAS und das BMBF vier Tagesveranstaltungen zu den Themen Systematisierung, Beratung, Unterstützungs- und Anreizstrukturen sowie Validierung, Qualitätssicherung und Inhalte sowie eine Steuerkreissitzung zur Endredaktion des Strategiepapiers organisierten. Diese Tagungen waren mit intensiven Vor- und Nachbereitungen sowie internen und übergreifenden Abstimmungsarbeiten verbunden. Die GEW war neben dem DGB, der IG Metall, der IG BCE und ver.di, den Arbeitgeberverbänden, der Kultusministerkonferenz (KMK), der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK), der Wirtschaftsministerkonferenz (WiMK) und der Bundesagentur für Arbeit vertreten.

Früh schon wurden die divergierenden Interessen sowohl zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen also auch zwischen dem sozialpartnerschaftlich orientierten BMAS und dem BMBF deutlich. Dass tatsächlich im Juni ein Strategiepapier veröffentlicht werden konnte, ist daher nicht selbstverständlich und erklärt den vergleichsweise hohen Abstraktionsgrad. Der Aufbau des nun vorliegenden Strategiepapiers ist in der Tabelle dargestellt.
Dem im Koalitionsvertrag formulierten Auftrag entsprechend bezieht sich die NWS vornehmlich auf die berufliche Weiterbildung. Kennzeichnend für das Papier sind etwa 50 „Commitments“ der NWS-Partner zur Zielerreichung. GEW, DGB und ver.di gelang es, dass dem Personal in der Weiterbildung ein eigener Abschnitt eingeräumt und folgende Verpflichtung als „Commitment“ aufgenommen wurde:
„Bund und Länder prüfen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Erwerbstätigen in der öffentlich finanzierten beruflichen Weiterbildung. Die Sozialpartner werden mit einbezogen.“

Herbstakademie in Frankfurt

Als erste Gewerkschaft hat die GEW der NWS mit der Herbstakademie 2019 „Gute Arbeit in der Erwachsenenbildung“ am 24. und 25.10. eine eigene Großveranstaltung gewidmet, die in Kooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Justus-Liebig-Universität Gießen in der Goethe-Universität durchgeführt wurde. Teilgenommen haben gut 100 Personen aus der GEW, den Erziehungswissenschaften, den Volkshochschulen, Verbänden und Trägereinrichtungen sowie aus dem Bundestag.

Der Gießener Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Bernd Käpplinger referierte unter dem Titel „Die große Regression?“ über die „gesellschaftlichen Krisen und Chancen für progressive Weiterbildung in Politik und Praxis“. Dabei kritisierte er insbesondere die Fokussierung der NWS auf die betrieblich-berufliche Weiterbildung und die digitale Transformation. Auch in der anschließenden Diskussion ging es um die Unterschiede zwischen allgemeiner und beruflicher Weiterbildung und die jeweiligen Konzepte von Erwachsenen- und Weiterbildung. Angesichts der gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Krisen sei die individualisierte berufliche Förderung nicht das Maß aller Dinge. Vielmehr benötige die NWS eine politische Form, die Erwachsen- und Weiterbildung gemeinsam fördert. Außerdem sei in Zeiten der Globalisierung eine rein nationalstaatliche Strategie nicht mehr zeitgemäß. Andere Kolleginnen und Kollegen kritisierten, dass relevante Akteure und Institutionen wie der Rat für Weiterbildung, die Integrations- und Deutschsprachförderkurse und der Zweite Bildungsweg in die NWS nicht eingebunden sind.

Fabian Langenbruch, Leiter der Unterabteilung Digitalisierung und Arbeitswelt, nahm in seinem Vortrag „Die NWS aus Sicht der Bunderegierung“ explizit die Sichtweise des BMAS ein. Die Digitalisierung wird nach Prognosen des BMAS in bestimmten Sektoren bis zum Jahr 2025 zum Verlust von 1,3 Millionen Arbeitsplätzen führen, bis zum Jahr 2035 von 4,0 Millionen. Im selben Zeitraum würden 2,1 bzw. 3,3 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Das Qualifizierungschancengesetz (QCG) trat bereits am 1.1.2019 in Kraft und auch das in der Beratung befindliche „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ knüpft an die NWS an. Es sieht unter anderem einen Transformationszuschuss, eine Perspektivqualifizierung sowie eine Bildungs(teil)zeit mit Rechtsanspruch auf Freistellung vor.

Die stellvertretende Vorsitzende des DGB Elke Hannack stellte die prekäre Lage der meisten Beschäftigten in den Mittelpunkt ihres Vortrags:
„Die Beschäftigten in der Weiterbildung sind es, die für Qualität stehen. Sie sind es, die die Programme des Bundes, der Länder und Kommunen, der Arbeitsagenturen und Jobcenter, aber auch der Volkshochschulen und der gewerkschaftlichen Bildungsträger mit Leben erfüllen. Und wir müssen leider auch ganz klar und deutlich sagen: Gerade die Beschäftigten in der öffentlich finanzierten Weiterbildung sind es, die noch immer allzu oft unter prekärer Beschäftigung leiden. (...) Viele im Grunde gute Programme laufen in die Leere, weil sie chronisch unterfinanziert sind und weil es in der Weiterbildung viel zu wenig stabile Beschäftigung gibt. Wir brauchen in unserer reichen Gesellschaft endlich mehr Wertschätzung für die Arbeit in der Weiterbildung. Und diese Wertschätzung darf sich nicht nur in warmen Worten, sie muss sich auch in guten Arbeitsbedingungen und in harten Euros ausdrücken.“

Wie schon vorher Bernd Käpplinger wies auch Elke Hannack auf die Krise der Demokratie in Deutschland und den notwendigen Ausbau der allgemeinen Weiterbildung hin:
„Weiterbildung ist weit mehr als Menschen fit zu machen für die digitale Arbeitswelt. Wir alle erleben, dass unsere Demokratie unter Druck steht. Wir sehen das Erstarken der Rechtsradikalen in unseren Parlamenten. Wir erleben den Hass in den vermeintlich sozialen Netzwerken. Wir sehen eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung in unserer Gesellschaft zwischen Oben und Unten, zwischen Ost und West, zwischen Stadt und Land, und in den großen Metropolen auch zwischen den Stadtteilen. Wenn wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken wollen, wenn wir eine offene und soziale Gesellschaft haben wollen, dann brauchen wir auch die allgemeine Weiterbildung.“

Um bessere Arbeitsbedingungen in der Weiterbildung und den Ausbau der politischen Bildung zu finanzieren, müsse sich die Regierung „von der schwarzen Null verabschieden“:
„Alles, was das Leben in unseren Städten und Gemeinden lebenswert macht, wird von der schwarzen Null ausgebremst. Das betrifft Büchereien, Schwimmbäder, Radwege, aber auch Kitas, Schulen und die Weiterbildung. Die Schuldenbremse ist eine Bildungsbremse.“
In der von Dr. Ulrich Jung moderierten Podiumsdiskussion stellten die Bundestagsabgeordneten Ulrike Bahr (SPD), Dr. Jens Brandenburg (FDP), Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) ihre Positionen zur NWS im Allgemeinen und zur Notwendigkeit der Förderung der Weiterbildung im Besonderen vor. Der erkennbare parteiübergreifende Konsens stimmt mich optimistisch, dass im Rahmen der NWS gesellschaftliche Fortschritte möglich sind.

Nach dem beschriebenen Zeitplan liegt eine weitere Kärrnerarbeit vor uns: In einem ab November 2019 halbjährlich tagenden Gremium sollen die Umsetzungsaktivitäten vernetzt und koordiniert werden; zur vertieften Bearbeitung einzelner Handlungsziele können Themenlabore eingerichtet werden. Auch diese Termine werden mit umfangreichen Vor- und Nacharbeiten, inhaltlichen Auseinandersetzungen und schwierigen Abstimmungsprozessen verbunden sein. In der Summe kann diese wichtige Arbeit der GEW dazu beitragen, unser auf dem Freiburger Gewerkschaftstag beschlossenes Ziel guter bundesgesetzlicher Rahmenbedingungen für die Weiterbildung in Schritten zu erreichen.

Ansgar Klinger

Ansgar Klinger leitet im GEW-Hauptvorstand den Vorstandsbereich Berufliche Bildung und Weiterbildung.