Ein schwieriger Weg

Anerkennung des Völkermords an den Ovaherero, Nama und Damara

HLZ 7-8/2021: Hessen postkolonial

Foto: Erinnerung an den Genozid an Ovaherero und Nama vor dem BremerKolonialdenkmal von 1931 | Chrischerf | CC BY-SA 3.0

Es war ein quälend langer Prozess bis zur offiziellen Anerkennung des Völkermords an Ovaherero, Nama und Damara. Am 28. Mai teilte Bundesaußenminister Maas mit, dass das Aussöhnungsabkommen mit Namibia nun unterschriftsreif sei. Die von Deutschen im Deutsch-Namibischen Krieg (1904-1908) begangenen Gräueltaten würden jetzt auch von Regierungsseite „ohne Schonung und Beschönigung“ als „Völkermord“ bezeichnet. Noch 2015 hatte der Bundestag einen Antrag der Fraktion Die Linke abgelehnt, der die Bundesregierung aufforderte, „der sich aus der deutschen Schuld für den Völkermord ergebenden politischen und moralischen Verantwortung und Verpflichtung vorbehaltlos nachzukommen“. Immerhin führte die damalige Debatte zur Aufnahme deutsch-namibischer Verhandlungen, in denen nach den Worten von Maas „ein gemeinsamer Weg zu echter Versöhnung im Angedenken der Opfer“ gefunden worden sei. Vertreter der Traditional Authorities von Ovaherero und Nama bezeichneten das Abkommen jedoch schon vor seiner offiziellen Unterzeichnung als unzureichend, weil sie an den Gesprächen nicht beteiligt waren.

Politische Amnesie

Die erste maßgebliche deutsche Publikation zum Thema erschien 1966 im Berliner Akademie-Verlag. Horst Drechslers Buch „Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft“ belegte durch akribisch aufgearbeitetes Aktenmaterial die von deutschen Kolonialtruppen in „Deutsch-Südwestafrika“ begangenen Verbrechen. Das Buch hatte jedoch einen „Geburtsfehler“, es erschien im falschen deutschen Staat, so dass die Bezeichnung der deutschen Kolonialverbrechen als „Völkermord“ als kommunistische Propaganda abgetan wurde. 1968 erschien das Buch von Helmut Bley „Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Deutsch-Südwestafrika 1894-1914“ im Hamburger Leibnitz-Verlag, das ebenfalls mit schonungsloser Offenheit die Brutalität der deutschen Kolonialherrschaft beschrieb. Doch erst in den siebziger Jahren griffen Teile der Studentenbewegung die Idee der antiimperialistischen Solidarität auf und kritisierten die deutsche Kolonialherrschaft öffentlich. Peter Hellers Film „Die Liebe zum Imperium“ und Uwe Timms Roman „Morenga“ fanden ab 1978 ein größeres Publikum. Für die Neuauflage des Buchs von Horst Drechsler 1984 in der DDR schrieb Sam Nujoma, später der erste Präsident des unabhängigen Namibia, das Vorwort. Die DDR unterstützte die Befreiungsbewegung SWAPO politisch und militärisch, während die BRD lange dem südafrikanischen Apartheidregime die Stange hielt.

Trotz der vielen Initiativen, die sich nach der Wiedervereinigung für die Umbenennung von Straßen, für die Demontage von den Kolonialismus verherrlichenden Denkmälern oder für die Rückgabe geraubter Kulturgüter stark machten, verharrten weite Teile der offiziellen Politik in einer Art Amnesie. Die Vorgänge in „Deutsch-Südwestafrika“ dürften auch deshalb nicht als Völkermord bezeichnet werden, weil sonst mit Reparationsforderungen zu rechnen sei.

Seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 betonte die deutsche Politik zwar immer wieder die „besondere Verantwortung“ für Namibia, ein Schuldeingeständnis, eine Entschuldigung oder gar eine Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht forderte aber nur Die Linke. Erst als der Bundestag 2016 den Genozid an den Armeniern verurteilte, kam Bewegung in die Debatte. Genüsslich hielt der türkische Präsident Erdogan den Deutschen vor, dass sie sich doch um ihre eigenen kolonialen Verbrechen kümmern sollten.

Wie kam es zum Völkermord?

Getrieben vom Wunsch nach Weltgeltung brachte das Deutsche Kaiserreich ab 1884 Länder in Übersee unter seine Herrschaft, so auch das Gebiet des heutigen Namibia. Ziel der deutschen Kolonisatoren war es, auf dem Gebiet des heutigen Namibia ein „neues Deutschland“ zu gründen. Die afrikanische Bevölkerung sollte diesem rassistisch-nationalistischen Vorhaben weichen oder sich unterordnen. Es sollte „Lebensraum“ für mindestens 100.000 deutsche Siedlerinnen und Siedler geschaffen werden, bis zum  Beginn des Ersten Weltkrieges waren 14.000 gekommen. Nach dem Deutsch-Namibischen Krieg (1904 -1908) wurden die Widerstand leistenden afrikanischen Gemeinschaften völlig entrechtet. Es begann der „Aufbau“ einer deutschen Kolonie, die sich architektonisch, technisch und kulturell am Deutschen Reich orientierte und eine im Kern rassistische Apartheid-Struktur schuf.

Den namibischen Völkern, vor allem Ovaherero und Nama, wurde ab1900 zunehmend bewusst, dass es das Ziel der Deutschen war, ihr Land völlig zu okkupieren und ihre Lebensgrundlagen und Vergesellschaftungsformen als nomadisierende Viehzüchter zu zerstören. Im Januar 1904 begann der Widerstandskrieg gegen die deutschen Eindringlinge, der in der neueren Geschichtswissenschaft aufgrund seiner Tragweite und Bedeutung als „Deutsch-Namibischer Krieg“ bezeichnet wird. Ende 1904 waren die Ovaherero geschlagen und zu einem großen Teil vernichtet. Für den verantwortlichen deutschen Generalleutnant Lothar von Trotha war der Krieg ein „Rassenkrieg“, der nur durch die „vollständige Vernichtung des Hererovolkes“ beendet werden könne. Die Nama traten zeitverzögert erst im Sommer 1904 in den Krieg ein, ihre Guerillaeinheiten konnten zum Teil bis Anfang 1908 Widerstand leisten. Sie galten den Deutschen als besonders gefährlich und wurden entsprechend brutal behandelt. Während und in der Folge des Krieges kamen zwischen 1904 und 1914 mindestens 70.000 Afrikanerinnen und Afrikaner bei Kämpfen um, verhungerten oder starben in Konzentrationslagern.

Die deutsche und die namibische Regierung haben sich nun darauf verständigt, dass Deutsche in den Jahren 1904 bis 1908 auf namibischem Boden Völkermord begingen. Dieses Schuldeingeständnis ist sicher „ein Schritt in die richtige Richtung“. Es ist seit Jahren überfällig, aber keinesfalls, wie auch Heiko Maas betonte, ein Schlussstrich unter das Geschehene. In Deutschland müssen sich die Vereinbarungen auch im öffentlichen Bewusstsein niederschlagen. Dazu gehören Veränderungen in Museen, in Schulbüchern und in der öffentlichen Erinnerungskultur.

In Namibia sollten Entschuldigung und Wiedergutmachung vor allem darauf abzielen, die nach wie vor im Land bestehenden Folgen kolonialer Gewaltherrschaft zu überwinden. Für Ovaherero und Nama steht neben einer glaubwürdigen offiziellen Entschuldigung die Landfrage im Zentrum. Immer noch befindet sich die Mehrzahl der etwa 4.500 Großfarmen mit 10.000 Hektar und mehr in den Händen weißer Farmer:innen, davon sind etwa 1.500 Deutsche. Nur substantielle Fortschritte auf diesem Feld können bei den am stärksten vom deutschen Kolonialismus betroffenen Gemeinschaften die nötige Akzeptanz für einen Versöhnungsprozess bewirken. Ob und in wieweit das nun erarbeitete Abkommen dies leistet, kann zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser HLZ noch nicht abgeschätzt werden. Der Text des Abkommens ist noch nicht veröffentlicht.

Bernd Heyl

(1) Helmut Bley: Kolonialherrschaft und Sozialstruktur in Südwestafrika 1884-1914. Hamburg 1968
(2) Horst Drechsler: Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft. Berlin 1984
(3) Reinhardt Kößler und Henning Melber: Völkermord – und was dann? Die Politik deutsch-namibischer Vergangenheitsbearbeitung. Frankfurt 2017
Uwe Timm: Morenga. 17. Auflage, München 2017
(4) Maion Wallace: Geschichte Namibias. Basel und Frankfurt 2015