Rassismus in Schulbüchern

Wie Schulen koloniales Gedankengut transportieren

HLZ 7-8/2021: Hessen postkolonial

Die Institution Schule ist ein Hauptakteur zur Vermittlung von Normen und zur Reproduktion von Gedankengut einer Gesellschaft. Das trifft auch für die Fortschreibung eines kolonial-rassistischen Bilds von Afrika in westlichen Gesellschaften zu: Afrika wird als ein Ort konstruiert, der stets hilfsbedürftig und rückständig bleibt. Unterrichtsmaterialien geben dieses rassistische Wissen an Schüler:innen weiter. Das gilt auch für die großen Schulbuchverlage Klett, Cornelsen und Westermann. Die wenigen Originaltexte, die in ihren Geschichtsbüchern zitiert werden, sind häufig veraltet oder umstritten. Auch spiegeln sie den gesellschaftlichen Diskurs oftmals nur unzureichend oder gar nicht wider und machen globale Machtverhältnisse nicht transparent. Die Gesinnung in einem Schulbuch lässt sich an drei wesentlichen Aspekten festmachen: an der Auswahl der Inhalte, an der Sprache und an den Bildern, die die Positionen bzw. Perspektiven der Autor:innen sichtbar machen.

Rassistische Kategorisierung von Menschengruppen

Doch wo fängt Rassismus an und wo hört er auf? Offen rassistische Darstellungen des Kontinents Afrika, wie es sie noch vor 15 Jahren gab, sind heute nicht mehr möglich. Doch trotz der enormen Veränderungen ist der Rassismus nicht verschwunden. Schwarze Menschen werden oft auf bestimmte Rollenmodelle festgelegt und pauschal auf die Rolle als „Opfer“ von Gewalt oder Katastrophen, als schwach oder fremde Bedürftige reduziert. Diese entwertenden Darstellungen werden nicht nur durch die Massenmedien geprägt, sondern insbesondere durch die ergänzenden Darstellungen innerhalb der Institution Schule gefestigt. Weiße Menschen hingegen werden als satte, gesunde, wohlhabende und gebildete Menschen abgebildet. Allein aufgrund dieser gegensätzlichen Darstellung von weißen und Schwarzen Menschen wird eine weiße Überlegenheit suggeriert, so dass von einer rassistischen Kategorisierung von Menschengruppen gesprochen werden kann.

Menschen, die in deutschen Schulen sozialisiert werden, lernen von afrikanischer Geschichte eher wenig bis nichts. Obwohl die afrikanische Geschichte vermutlich eine der ältesten der Welt ist, gehen die Kenntnisse kaum über die „Hochkultur“ Ägyptens hinaus. In der Schule beginnt die Geschichte Afrikas mit der „Entdeckung“ Afrikas und der Versklavung durch die Europäer:innen, findet ihre Fortsetzung im Kolonialismus und endet mit der heutigen, wie es scheint, dann doch selbstverschuldeten „Unterentwicklung“.

Der Völkermord an den Ovaherero und Nama in den Jahren 1904 bis 1908 in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika wird häufig, aber nach wie vor distanziert thematisiert. Die Schulbücher, die den Genozid im heutigen Namibia behandeln, verharmlosen die Brutalität der Gewalt, die Afrikaner:innen während der Kolonisierung angetan wurde. Durch sprachliche Mittel wird die rassistische Gewalt fast bis zur Unkenntlichkeit retuschiert. Die Nachwirkungen von Kolonialismus und Rassismus bis in den Alltag von Schwarzen Menschen in Deutschland und in Namibia werden gar nicht problematisiert. Positiv hebt sich das Geschichtsbuch entdecken und verstehen 3 aus dem Cornelsen-Verlag hervor, das den Genozid an den Herero als „Vernichtungskrieg“ anerkennt und als solchen darstellt (2013, S. 137). Die aktuelle Ausgabe greift auch das Thema „Wiedergutmachung“ auf und orientiert sich damit an der aktuellen Forschungslage.

An der Verwendung des aus der kolonialen Herrschaftssprache stammenden Terminus „Reservat“ statt „Konzentrationslager“ wird deutlich, dass der Diskurs innerhalb der Fachwissenschaften in Bezug auf denkbare Parallelen zwischen dem Genozid in Namibia und der Shoa weiterhin ein Tabu für die Schulbuchautor:innen darstellt. Es bleibt also die herausfordernde Aufgabe der Lehrer:innen, trotz ethnozentrischer Sichtweise die Urteils- und Wahrnehmungskompetenzen der Schüler:innen zu schärfen und eine multiperspektivische Betrachtung zu ermöglichen.

Die Arbeit der Lehrer:innen hängt stark von der subjektiven Wahrnehmung und der persönlichen Einstellung ab mit der Folge, dass Schwarze Schüler:innen bewusst wie unbewusst durch Lehrpersonen und Mitschüler:innen auf stereotype Vorstellungen und Merkmale reduziert werden. Leistungszuschreibungen aufgrund kolonialrassistisch geprägter Vorurteile von Lehrer:innen können die Selbstwahrnehmung von Schwarzen Kindern und Jugendlichen nachhaltig belasten und schwerwiegende Folgen für die Leistungsfähigkeit, für den Versuch, höhere Bildungstitel zu erlangen, und damit für den gesamten weiteren Bildungsweg haben.

Rassismuskritische Schulbücher allein sind nicht die Lösung eines gesellschaftlich tief verankerten Problems. Schulbücher werden als didaktisches Instrument verwendet und sollen die Planung und Gestaltung des Unterrichts stützen. Inwiefern Schulbücher wissentlich eingesetzt werden, um gewisse Paradigmen weiterzugeben, lässt sich explizit nicht sagen. Es gilt sich jedoch vor Augen zu halten, dass Schulbücher für eine Institution geschrieben werden, deren Aufgabe darin besteht, die Paradigmen der eigenen Gesellschaft weiterzugeben. Rassismus als koloniales Erbe zu dekonstruieren, erfordert einen offenen, wenn auch schmerzlichen Diskurs, der von Schwarzen Expert:innen angeführt werden sollte. So könnte beispielsweise bei der Entstehung von Schulbüchern die deutsche Kolonialgeschichte aus der Perspektive der Kolonialisierten und ihrer Nachfahren wiedergegeben werden. Eine Kooperation mit der Botschaft Namibias oder mit den Vertretungen der Ovaherero und Nama könnte es möglich machen, postkoloniale Entwicklungen in der ehemaligen deutschen Kolonie mit einzubeziehen. Dies wäre nicht nur ein Signal der Anerkennung, sondern auch ein wichtiger Schritt in Richtung Dekolonisierung von Schulbüchern.

Valeska Klett

Valeska Klett ist in Frankfurt am Main geboren und studierte Englisch und Geschichte. Sie ist Lehramtsreferendarin und aktiv in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD Frankfurt) und Mitbegründerin der Initiative KIDSemPOWERment.