Normalität, Normativität, Wertschätzung

Das Kopftuch als konfessionelles Zeichen anerkennen

„Die interkulturelle Kompetenz und damit die Unterrichtsqualität in Schulen mit hohem Migrantenanteil wird durch eine größere Zahl von Migrantinnen und Migranten in der Lehrerschaft sowie eine verstärkte Fortbildung und interkulturelle Schulung von Erziehern und Lehrern verbessert.“ (1) Dieses Zitat entstammt einer Selbstverpflichtungserklärung der Bundesländer im Rahmen des nationalen Integrationsplans aus dem Jahr 2007.

In Anlehnung an die Idee, mehr „Migrantinnen und Migranten“ für den Beruf der Lehrerin oder des Lehrers zu gewinnen, ist der folgende Beitrag ein Plädoyer für den wertschätzenden Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt im Rahmen der (Hoch-)Schulpädagogik. Anlass dafür waren Diskriminierungserfahrungen von kopftuchtragenden Studentinnen, über die ich unterrichtet wurde. Zum Schutz der Betroffenen werden hier weder Namen noch Details genannt. Dabei ist es ist für mich ein persönliches Ärgernis, diese Besonderung einer Gruppe von Menschen überhaupt vornehmen zu müssen, doch bleiben die besprochenen Geschehnisse ohne dieselbe unverständlich. All diesen Frauen wurde entweder die im Studium vorgesehene Hospitation an Schulen verweigert oder sie wurden aufgefordert, ihre Kopfbedeckung abzunehmen oder sich für dieselbe öffentlich zu rechtfertigen. Abgesehen davon, dass das Hessische Schulgesetz das Tragen von Kopftüchern nicht (mehr) explizit untersagt (siehe Kasten), handelte es sich bei den Betroffenen um Studierende, die der Universität anvertraut waren und der Entscheidungsgewalt der Schulen somit nicht einmal unterstanden. Dass es dennoch dazu kommen konnte, zeigt auf der einen Seite Übergriffigkeit, auf der anderen Handlungsohnmacht. Gleich wie man über „das Kopftuch“ als Privatperson denken mag: Professionelle Pädagogik sollte sich einerseits im Rahmen geltenden Rechts bewegen und andererseits hinterfragen, aufgrund welcher Normen und Normalitätsvorstellungen überhaupt agiert wird.

„Im Pluralismus kann nur jeder für sich in einem mühsamen Prozess entscheiden lernen, was ihm als erstrebenswert und handlungsbedeutsam erscheint“, meint Jürgen Rekus (2), der deshalb – wie in der Überschrift zitiert - auch dafür plädiert, das Kopftuch „als konfessionelles Zeichen“ anzuerkennen (3).

Was uns im Alltag als Normalität erscheint, stellt im Grunde eine im gesellschaftlichen Diskurs entworfene Vorstellung derselben dar (4). Der „Normalismus“, verstanden als „Antwort auf die Herausforderungen der modernen Dynamiken“, kann als Versuch betrachtet werden, die „Gefahr eines chaotischen Umschlags“ zu kontrollieren (5). Wenn aktuell über „Leitkultur“ (6) oder den Ausruf „Wir sind das Volk“ (7) diskutiert wird, dann ist dabei stets von einer jeweils zugrundeliegenden Vorstellung von Normalität und Normativität auszugehen, wie etwas sein sollte. Dass der Begriff der „Leitkultur“ aber eben nicht selbsterklärend ist, zeigt die breit geführte Diskussion über diesen Begriff.

Was folgt daraus für die (Schul-)Pädagogik sowie die Hochschulen? In ihrer „Pädagogik der Vielfalt“ legt Annedore Prengel eindrucksvoll dar, welche Konsequenzen aus gesellschaftlicher Heterogenität gezogen werden können (8). In diesem Zusammenhang können auch die Reckahner Reflexionen über eine menschenrechtsbasierte Pädagogik genannt werden (9). Ohne eine „Haltung des Respekts“, die für Annedore Prengel „das gleiche Recht auf Lebensglück“ aller einschließt, ist in einer heterogenen Gesellschaft kein positives Miteinander möglich. Die Hochschulpädagogik, deren Arbeit einen entscheidenden Anteil an der Persönlichkeitsentwicklung zukünftiger Lehrkräfte hat, würde durch direkte oder indirekte Abwertungs- und Diskriminierungsprozesse dazu beitragen, ein gesamtgesellschaftliches Klima zu befördern, in dem nur noch diejenigen Normalitätsvorstellungen als hinnehmbar gelten, deren Deutungshoheit durch Mehrheits- oder Machtvorherrschaft gesichert ist.

Ein Kopftuchverbot für (angehende) Lehrkräfte hält gläubige Musliminnen schlimmstenfalls von diesem Beruf fern und verhindert damit eine Repräsentanz derselben in den Kollegien. Es setzt auf Wertedominanz anstelle von Werteverständnis und nimmt Schülerinnen derselben Gruppe potentielle Vorbilder gelingender Integration. Dies erscheint in einer heterogenen Gesellschaft, die sich als demokratische versteht, auch pädagogisch wenig ratsam. (Hoch-)Schulen sollten menschliche Vielfalt anerkennen, wertschätzen und (aktiv) schützen.

Julian Storck

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Grundschulpädagogik der Universität Kassel.

(1) Bundesregierung (2007) Der Nationale Integrationsplan
(2) J. Rekus (2013). Bildung und Werterziehung. In: T. Fuchs, M. Jehle und S. Krause (Hrsg.), Normativität und Normative (in) der Pädagogik, S. 211-221. Würzburg, S. 216
(3) ebenda S. 220
(4) J. Link (2006). Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
(5) M. Jäger und S. Jäger (2007). Deutungskämpfe; Theorie und Praxis kritischer Diskursanalyse. Wiesbaden, S. 63
(6) www.tagesspiegel.de/politik/vereinnahmung-der-parole-wir-sind-das-volk-pegida-ist-nicht-das-volk/11250492.html
(7) www.zeit.de/politik/deutschland/2017-05/thomas-de-maiziere-leitkultur-union-reaktionen
(8) A. Prengel (2006). Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in interkultureller, feministischer und integrativer Pädagogik (3. Aufl.). Wiesbaden
(9) www.rochow-museum.uni-potsdam.de

Toleranz | Falsch verstanden!

Seit einigen Jahren fallen mir – für mich – unverständliche Meinungsäußerungen und Statements der GEW in der Öffentlichkeit auf, zuletzt zu Aussagen hessischer Grundschulrektorinnen, die es ablehnen, dass muslimische Mädchen bereits im Grundschulalter unter ein Kopftuch gesteckt werden und es auch in der Schule tragen sollen. Ich teile diese Ablehnung, denn das Kopftuch ist hier nicht nur ein Symbol für die Religionszugehörigkeit, sondern es wird von konservativen Islamverbänden gefordert und von radikalen Verbänden wie der DiTiB unterstützt. Dabei ist diese Forderung sehr umstritten und man findet im Koran keine einzige Sure, die das für junge Mädchen vorschreiben würde. Kritische Muslima wie Zana Ramadani laufen seit Jahren dagegen Sturm, weil sie das Kopftuch als Unterdrückungssymbol für Mädchen und Frauen sehen. Und das ist es wohl auch! In der von Männern dominierten Familie und in vielen Islam-Verbänden haben Frauen nicht die gleichen Rechte. Außerdem kann ein muslimisches Mädchen sich später nicht mehr entscheiden, ob es die Religion verlassen will. In der Regel wird sie danach geächtet, in manchen Schriften auch zur „Ungläubigen“ und mit dem Tode bedroht.
Oft grenzen sich muslimische Mädchen in den Klassen von anderen Kindern ab und zeigen ihnen, dass sie die „bessere“ Religion hätten. Das lassen sie auch Kinder muslimischen Glaubens spüren, die kein Kopftuch tragen. So wird schon in den Schulen Druck auf die Mädchen und ihre Eltern ausgeübt, die einen gemäßigten, modernen Islam praktizieren wollen. Ich kenne Fälle von Mobbing gegenüber Mädchen, die kein Kopftuch tragen. Mir ist nicht klar, wie sich die sonst so kritische GEW immer mehr einer falsch verstandenen Toleranz verschrieben hat, vor der so angesehene Wissenschaftler wie Professorin Susanne Schröter ständig warnen. Manchmal hab ich den Eindruck, dass einige GEW-Funktionäre die Realität in Brennpunktstädten wie Frankfurt, Offenbach oder Rüsselsheim nicht mehr erkennen wollen.

Manfred Pöller, Rüsselsheim

Vertrauen aufbauen | Im Gespräch mit Birgit Koch

Ein Rundschreiben der Schulleitung einer Grundschule im Hochtaunuskreis, wonach „das Tragen von Kappen, Tüchern und Kopftüchern im Unterricht nicht erlaubt“ ist, löste nach den Osterferien einigen Wirbel aus. Medienvertreter wollten auch von der GEW-Vorsitzenden Birgit Koch wissen, wie die GEW zu diesem Thema steht. Die HLZ bat Birgit Koch, ihre Auffassung ausführlicher darzustellen.

HLZ: Die Schulleitung einer Grundschule verbietet muslimischen Mädchen, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen überprüft derzeit, ob ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren, also bis zur gesetzlichen Religionsmündigkeit, verfassungsrechtlich zulässig ist. Was meint dazu die GEW Hessen?

Birgit Koch: „Die“ GEW Hessen hat dazu keine Beschlüsse gefasst und sicher gibt es dazu sehr unterschiedliche Auffassungen. Aber ich sage dir gern, was ich persönlich darüber denke, nicht nur als GEW-Vorsitzende, sondern auch als Religionslehrerin. Zunächst einmal: Rechtlich halte ich ein solches Verbot nicht für zulässig. Es ist mit der Religionsfreiheit, die das Grundgesetz garantiert, nicht vereinbar und würde spätestens vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Das hat schließlich sogar ein generelles Kopftuchverbot für Beschäftigte im öffentlichen Dienst für unzulässig erklärt. Eine Folge für Hessen war die Änderung des Schulgesetzes (siehe Kasten). Aus demselben Grund hat sich auch die Bildungsstätte Anne Frank gegen ein Kopftuchverbot ausgesprochen, das ausgerechnet in einer Zeit diskutiert wird, „in der Menschen in Deutschland angegriffen werden, weil sie Kippa oder Kopftuch tragen“.

HLZ: Was sagst du denn den Kolleginnen und Kollegen, die konkret erleben, wie Mädchen, die noch nicht frei entscheiden können, schon im Grundschulalter plötzlich mit Kopftuch in die Schule kommen?

Birgit Koch: Erst einmal ist es unsere Aufgabe als Lehrerinnen und Lehrer, allen Kindern mit Respekt zu begegnen und Vertrauen zu Kindern und Eltern aufzubauen. Auf der Grundlage dieses Vertrauens kann und muss ich einschreiten, wenn ich das Gefühl habe, dass Kinder in Not sind und unter Druck gesetzt werden. Das geht aber nur, wenn ich Kinder und insbesondere Grundschulkinder nicht gegen ihre Eltern stelle. Damit wäre keinem geholfen und es bringt im schlimmsten Fall diese Kinder in Gewissenskonflikte. Tagtäglich intervenieren die Kolleginnen und Kollegen, indem sie nicht akzeptieren, dass Mädchen nicht zum Schwimmunterricht gehen oder nicht an Klassenfahrten teilnehmen dürfen. Da sind klare Regeln erforderlich, die dann auch eingehalten werden müssen.

HLZ: Du hast dich im Zusammenhang mit dem islamischen Religionsunterricht und dem herkunftssprachlichen Unterricht in der Verantwortung der Konsulate politisch als GEW-Vorsitzende sehr klar positioniert. Was heißt das für die Frage des Kopftuchs?

Birgit Koch: Da bin ich genauso eindeutig. Kolleginnen und Kollegen erfahren immer wieder, dass das Kopftuch eben nicht nur ein religiöses Symbol ist, das wir respektieren, sondern auch ein politisches Zeichen, dass Verbände und Moscheegemeinden Druck auf Kinder, Eltern und Lehrerinnen und Lehrer machen und die Kopftuchfrage entsprechend instrumentalisieren. Wo Mädchen und junge Frauen unter das Kopftuch gezwungen werden, brauchen sie Schutz und Unterstützung. Dazu gehört beispielsweise im Ethikunterricht die Vermittlung von Normen, die der Werteordnung unseres Grundgesetzes entsprechen. Und natürlich müssen wir diese Wertvorstellungen als Lehrerinnen und Lehrer tagtäglich vorleben.

HLZ: Kann das Schule alleine leisten?

Birgit Koch: Es ist nicht nur Aufgabe von Lehrerinnen und Lehrern, deutlich zu machen, dass ein politisch ausgerichteter Islam, der Mädchen und Frauen nicht als gleichberechtigt ansieht, in unserem Land nichts zu suchen hat. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu vermitteln, dass die Religionsfreiheit für alle Religionen gilt und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern nicht verhandelbar ist.

Hessisches Schulgesetz (2017)

§ 86 Absatz 3: „Vor dem Hintergrund der christlich-abendländischen Tradition Hessens, des Humanismus und der kulturellen und religiösen Vielfalt der hier lebenden Menschen sowie zur Gewährleistung der Grundsätze des § 3 Abs.1 haben die Lehrkräfte in Schule und Unterricht politische, religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren (…). Insbesondere ist ein Verhalten unzulässig, das objektiv geeignet ist, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in der Schule zu gefährden.“