Substanzielle Fortschritte: Von den Gewerkschaften erkämpft

Tarif und Besoldung | HLZ Juni 2023

Rückblick Kassel, 30. November 2021: Der Hessische Verfassungsgerichtshof (VGH) urteilt und zertrümmert damit die Besoldungspolitik der schwarz-grünen Regierungspartnerinnen vollständig: Der Abstand der unteren Besoldungsgruppen zum Sozialhilfeniveau sei deutlich zu gering, was den Anforderungen an eine amtsangemessene Alimentation widerspreche. Da zudem der Unterschied zwischen den Besoldungsgruppen nicht einfach verschoben werden dürfe, folge daraus auch die Verfassungswidrigkeit der gesamten A-Besoldung bis hin zur professoralen W2-Besoldung. Der VGH schloss sich damit für Hessen an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2020 an.


Verfassungswidrige Besoldung


Noch 2015/16 hatte Schwarz-Grün die hessische Besoldung durch eine Null- und Sparrunde tatkräftig ans Sozialhilfeniveau weiter angenähert und alle mit Disziplinarverfahren verfolgt, die sich, einem Aufruf der GEW folgend, als Beamtinnen und Beamte mit einem Warnstreik dagegen zur Wehr gesetzt hatten. In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode saß man besoldungsrechtlich die längste Zeit aus: Die Tarifergebnisse übertrugen die Mehrheitsfraktionen brav auf die Beamtinnen und Beamten. Mehr aber taten sie bis Ende 2022 nicht. Noch nicht einmal ein Ausgleich für die 2015/16 gerissene Lücke. Kein Beiseiteräumen der massenhaft verhängten Disziplinarverfahren. Kein Gespräch mit den DGB-Gewerkschaften über die Alimentationsproblematik. Denn vermutlich hatte Schwarz-Grün die Wahl fest im Blick. Wenn schon eine außerordentliche Erhöhung der Besoldung unumgänglich sein sollte, dann in zeitlicher Nähe zur Landtagswahl. Dem entsprach schließlich das jüngste Besoldungsanpassungsgesetz: Zusätzliche Erhöhung um 3 Prozent zum 1. April 2023 nebst spürbarer Erhöhung der kinderbezogenen Familienzuschläge, Erhöhung der Tabellen um 1,89 Prozent zum 1. August 2023 (=Tarifübertragung), Landtagswahl am 8. Oktober 2023, zusätzliche Erhöhung um weitere 3 Prozent zum 1. Januar 2024.


Kein Witz: Die Begründung des Anpassungsgesetzentwurfs gibt offen zu, dass damit eine rechtskonforme Höhe der Besoldung nicht erreicht wird. Man zieht es also ganz offiziell vor, weiterhin in rechtswidriger Weise zu besolden. Sowas will natürlich begründet werden: Es gäbe „weitere gleichrangige und vergleichbar haushaltsaufwändige Aufgaben. Dazu zählen (…) die noch nicht absehbaren Folgen des Ukraine-Kriegs, insbesondere auch hinsichtlich (...) der steigenden Inflation.“ Zwar spült die „steigende Inflation“ über die Umsatzsteuer jede Menge Geld in die Kassen des Finanzministers, aber die Begründung des fortgesetzt rechtswidrigen Verhaltens ist auch eher hingerotzt, als dass ernsthaft versucht werden sollte, irgendwelche nachvollziehbaren Argumente vorzubringen.


Endlich: A13/E13 auch für Grundschullehrkräfte


Besoldungsrechtlich kann aber nicht nur gemäkelt werden: Die Anhebung der Besoldung für Grundschullehrkräfte auf A 13 ist nach über sieben langen Kampagnenjahren ein bemerkenswerter Erfolg der hessischen GEW. Ein Wermutstropfen aber auch hier: Mit dem Umsetzungsplan bis August 2028 erweist sich Hessen als langsamste Schnecke unter allen Bundesländern, die die Anhebung der Grundschullehrkräfte-Besoldung derzeit ins Werk setzen.


TV-H: Tarifrunden und Lehrkräfte-Entgeltordnung


Mit einer Ausnahme, nämlich der Vereinbarung einer tarifrechtlichen Regelung zur Eingruppierung der angestellten Lehrkräfte, wiesen die Tarifrunden 2019 und 2021 zum Tarifvertrag Hessen (TV-H) kaum hessische Besonderheiten auf. Mit dem Abschluss 2019 konnte für die mittleren Entgeltgruppen eine Tarifsteigerung erzielt werden, die in der Gesamtschau mit den Steigerungen seit 2012 um rund 15 Prozentpunkte über der Preisentwicklung lag. Der Abschluss 2021 wirkte genau umgekehrt. Die rasant zunehmende Inflation und die begrenzten Tarifsteigerungen 2021/22 drückten die Reallöhne deutlich nach unten: über 6 Prozent. Allerdings unterschied sich Hessen hier nicht wesentlich von der Entwicklung bei der TdL.


Aus Sicht der GEW bedeutet die Vereinbarung einer Lehrkräfte-Entgeltordnung (TV EGO-L-H) in der Tarifrunde 2021 einen großen Erfolg. Damit konnte die Bezahlung von niedrig eingruppierten Lehrkräftegruppen, von bestimmten Lehrkräften an Grundschulen und an Schulen der Sekundarstufe I verbessert werden. Vor allem ist damit die Lehrkräfte-Eingruppierung nicht mehr durch Erlass geregelt, sondern durch einen Tarifvertrag. Damit liegt es an uns allen, hier zukünftig Verbesserungen zu erkämpfen!


Blockade bei Rückkehr in die TdL


Zur Rückkehr des Landes Hessen in den Arbeitgeberverband der Länder, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), hatten die Koalitionäre Ende 2018 vereinbart, dass mit der TdL das Gespräch darüber aufgenommen werden soll, „ob und wie das Land Hessen unter Beibehaltung der Vorteile des TV-H in die TdL zurückkehren kann“. Hessen hatte 2004 den Arbeitgeberverband verlassen und ist als einziges von 16 Bundesländern nicht Mitglied. Das Schreiben, mit dem Innenminister Beuth dann im Sommer 2019 den Austausch mit der TdL einleitete, muss aber eher als von Unwillen geprägt charakterisiert werden. Nach einer längeren Aufzählung der für die hessischen Beschäftigten günstigeren Regelungen des TV-Hessen (schlechtere Regelungen fanden selbstredend keine Erwähnung) kam der Innenminister zu dem originellen Vorschlag, die TdL könnte diese hessischen Besonderheiten doch einfach übernehmen. Zu ernsthaften Verhandlungen über eine Rückkehr in die TdL, wie etwa bei der Wiederaufnahme des Landes Berlin Jahre zuvor, kam es im weiteren Verlauf erst gar nicht. Hier erwiesen sich die Ankündigungen im Koalitionsvertrag als Flop.


Rüdiger Bröhling