Bildungspolitik

„Aufgeklärt statt Autonom“

Wie drängend ist das Thema Linksextremismus?

Drängende, hoch brisante Themen, denen sich auch die schulische politische Bildung stellen muss, gibt es genug: Hessen erlebte im Sommer 2019 einen offensichtlich rechtsterroristisch motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Dieser war aufgrund seiner an humanitären Grundsätzen orientierten Politik für Geflüchtete seit dem Jahr 2015 massiven Anfeindungen der Rechten ausgesetzt. Die Weltwetterorganisation der Vereinten Nationen beobachtet in diesem Jahr eine nie da gewesene Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre. Nach den Modellen der Klimaforschung führt ein Weiterso bei den globalen Emissionen dazu, dass das Weltklimasystem binnen weniger Jahre zu kippen und außer Kontrolle zu geraten droht.

Stattdessen sollen sich die hessischen Schülerinnen und Schüler jedoch ausgiebig mit den Gefahren des Linksextremismus befassen. So ist es wohl zu verstehen, wenn – wie im November 2019 geschehen – eine aus zwölf Hochglanzplakaten und Arbeitsmaterialien bestehende Ausstellung mit dem Titel „Aufgeklärt statt Autonom!“ an die Schulen versendet wird, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung, finanziert mit Landesmitteln aus dem Programm „Hessen – Aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ des Innenministeriums. Online gibt es die Materialien auf der Seite www.lehrer-online.de, die vom FDP-nahen Eduversum-Verlag betrieben wird.

Den Herausgebern zufolge sollen die Schulen mit den Plakaten eine Ausstellung im Schulgebäude gestalten und diese im Unterricht der Fächer Politik und Wirtschaft sowie Geschichte als Arbeitsmaterial verwenden. Neben der fragwürdigen Prioritätensetzung und der bislang ungeklärten Rolle des Eduversum-Verlags zeigt bereits ein oberflächlicher Blick auf ausgewählte Plakate der Ausstellung, dass auch bezüglich der wissenschaftlichen und der didaktischen Qualität erhebliche Mängel bestehen. Diese sollen hier anhand von drei Plakaten kurz skizziert werden.

Plakat Nr. 1:
Extremismus gegen die Demokratie
Der Ausstellung liegt ein extremismustheoretischer Ansatz zu Grunde, der auf eine Gleichsetzung von Islamismus, Rechtsextremismus und Linksextremismus hinausläuft, da sie gleichermaßen den „demokratischen Verfassungsstaat ablehnen“ und die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ beseitigen wollen. Auch „Intoleranz gegenüber Andersdenkenden“ sowie die Bewertung, Gewalt sei ein „legitimes Mittel“ zur Erreichung der Ziele, verbinde sie.

Plakat Nr. 5:
Wie und was Linksextremisten denken

Unter der Überschrift „Die Lehre des Kommunismus“ werden Marxismus, Leninismus, Sozialismus, Stalinismus, Maoismus und Anarchismus durch prägnante Zitate präsentiert. Sie reichen von Marx („Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“) über Lenin („Recht ist, was der proletarischen Klasse nützt“) und Stalin („Da draußen lauert ein Wolf, er will mein Blut. Wir müssen alle Wölfe töten.“) bis zu Mao („Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen“). Ob man den genannten Personen so – unter vollkommener Ausblendung des historischen Kontextes – gerecht werden kann, sei dahin gestellt. Suggeriert wird damit jedenfalls eine fragwürdige direkte theoretische und politische Linie von Marx über Lenin zu Stalin und Mao. In dieser Darstellung findet sich auch der Sozialismus, unter dem sowohl der revolutionäre Sozialismus („Gleichheit, Umverteilung und Enteignung auch mithilfe eines gewaltsamen Umsturzes“) wie auch der reformorientierte, demokratische Sozialismus verstanden wird, der mit dem Ziel der „Angleichung der Lebensverhältnisse aller Menschen auf demokratischem Weg über Wahlen“ zitiert und in den Kontext des Linksextremismus gerückt wird.

Plakat Nr. 10: Antiimperialismus und Antiglobalisierung
Der globalisierungskritischen Bewegung wird unterstellt, dass sie von Linksextremisten unterwandert ist, die ihre Theorien „im Windschatten der Antiglobalisierung“ besser „verkaufen“ könnten. Dabei wiesen wissenschaftliche Studien darauf hin, „dass auch die Entwicklungsländer von der Globalisierung profitieren.“ Abschließend werden unter der Frage „Was kannst du für eine gerechtere Welt tun?“ ausschließlich am individuellen Konsum ansetzende Strategien benannt: „Was sind mir die Waren wert, die ich kaufe?“, „Achte ich auf Umweltsiegel oder einen Aufdruck für einen fairen Handel?“, „Wie verreise ich und welche Verkehrsmittel nutze ich?“

Der Bildungs- und Erziehungsauftrag des Hessischen Schulgesetzes, „staatsbürgerliche Verantwortung zu übernehmen und sowohl durch individuelles Handeln als auch durch die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen mit anderen zur demokratischen Gestaltung des Staates und einer gerechten und freien Gesellschaft beizutragen“ (Art. 2. Abs.2 Nr. 2), wird damit eindeutig verfehlt. Das individuelle Konsumverhalten sollte zwar durchaus kritisch reflektiert werden, aber hier wird dieses als einziger Ansatzpunkt für „verantwortungsvolles Handeln“ präsentiert. Formen des kollektiven Handelns hingegen, ohne die demokratische Willensbildungsprozesse schlechterdings nicht möglich sind, werden am Beispiel der globalisierungskritischen Bewegung subtil diskreditiert. Der Landesvorstand der GEW hat inzwischen beschlossen, eine politikwissenschaftliche bzw. fachdidaktische Analyse des Materials in Auftrag zu geben.

Roman George


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