Bildungspolitik

Bildungs- und finanzpolitische Tagung

Empfehlungen von Prof. Achim Truger

Bericht

Nicht ohne Stolz registrierte HLZ-Redakteur Harald Freiling, dass die HLZ inzwischen auch ein Mitglied des „Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (besser bekannt als der „Rat der Wirtschaftsweisen“) zu ihren regelmäßigen Autoren zählen kann. Nach längeren Debatten war Professor Dr. Achim Truger von der Bundesregierung als Nachfolger von Peter Bofinger berufen worden. Nach seiner Tätigkeit im gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf wurde er 2012 Professor für Makroökonomie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, 2018 Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Autor zahlreicher Expertisen für die Hans-Böckler-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung und den DGB, in Hessen zumeist in Kooperation mit Kai Eicker-Wolf, dem finanzpolitischen Referenten von DGB und GEW. Auch ihre gemeinsamen Aufsätze in der HLZ thematisieren sie vorrangig Fragen der Finanz- und Haushaltspolitik, der Bildungsfinanzierung und der Einkommens- und Vermögensentwicklung.

Vortrag und Empfehlungen von Professor Achim Truger

Ende Mai gelang es dem DGB Hessen-Thüringen, Achim Truger für ein Referat im Frankfurter Presseclub zu gewinnen. Am Tag darauf war er für einen Vortrag zur Lage der öffentlichen Haushalte bei einer finanz- und bildungspolitischen Tagung der GEW Hessen zu Gast.

Im Rahmen seiner Ausführungen forderte der renommierte Finanzwirtschaftler die rund 80 anwesenden Kolleginnen und Kollegen aus Kitas, Schulen und Hochschulen dazu auf, sich stärker um Haushaltsfragen zu kümmern und über die gesellschaftlichen Ziele und Bedarfe zu sprechen, für die öffentliche Haushalte aufgestellt werden. Ein Haushalt sei nicht dann per se „ein guter Haushalt“, wenn er ausgeglichen sei, sondern entscheidend sei die Frage, „wie wir leben wollen“. Für eine solche Diskussion könne es keine Tabus geben, auf keinen Fall dürfe sie mit dem Hinweis auf die „Schuldenbremse“ frühzeitig abgewürgt werden. Dass die Orientierung an der „Schwarzen Null“ in den letzten Jahren ohne massive Einsparungen und Restriktionen möglich war, ist für Truger ausschließlich auf die dauerhaft gute Konjunktur, die relativ gute Beschäftigungssituation und den Verzicht auf massive Steuersenkungen zurückzuführen, die vor allem in der Zeit der rot-grünen Agendapolitik die Einnahmenseite massiv belasteten. Die negativen Folgen der Schuldenbremse würden dann spürbar, wenn die Konjunktur einbreche und wenn die Konsequenzen unzureichender Investitionen in Bildung und Infrastruktur nicht mehr zu übersehen seien.

Als „Keynesianer“ und als Kritiker der zunehmenden Ungleichverteilung in Deutschland vertritt Truger mit seinem Plädoyer für eine antizyklische Finanzpolitik und eine gerechte Steuerpolitik weiterhin eine Minderheitenposition im Mainstream der Volkswirtschaftslehre. Trotzdem nimmt die Kritik an der Politik der „Schuldenbremse“ auch unter eher wirtschaftsliberalen Ökonominnen und Ökonomen und im Arbeitgeberlager zu: Auch dort wird sie zunehmend als „Investitionsbremse“ und als Verstoß gegen die „Goldene Regel für öffentliche Investitionen“ wahrgenommen, wonach Investitionen in Bildung und öffentliche Infrastruktur zu einer höheren Produktivität führen und aus Gründen der Generationengerechtigkeit auch mit Krediten finanziert werden können.

Zur Ermutigung empfahl Truger den Gewerkschaften, „positive Beispiele“ in die Debatte einzubringen, die durch politisches, solidarisches Handeln zu Veränderungen geführt hätten: „Menschen haben etwas gefordert, es musste von der Politik umgesetzt werden, und es hat funktioniert“. Pragmatisch sollten die Gewerkschaften, „zweigleisig“ fahren und auf der einen Seite die Grundsatzdebatte über die „Schuldenbremse“ weiter führen und auf der anderen Seite bei den konkreten Anforderungen an die Haushalte auch die immanenten Spielräume aufzeigen. So hatte auch die GEW ihr Forderung nach einem 500-Millionen-Euro-Sofortprogramm für gute Bildung durchaus unter Berücksichtigung von gegebenen haushaltspolitischen Spielräumen „durchgerechnet“. Einbezogen waren unter anderem die zu erwartenden zusätzlichen Einnahmen des Landes aus dem Steueraufkommen des Landes und aus der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, die Rücklagen für dann doch nicht erfolgte Steuersenkungen nach der Bundestagswahl 2017 und die auch von der „Schuldenbremse“ nicht zwingend vorgeschriebene Tilgung von Altschulden, die in Zeiten von extrem niedrigen Zinsen auch ökonomisch keinen Sinn macht.

Podiumsdiskussion mit den Vorsitzenden der Landtagsfraktionen

Die Aufforderung Trugers, ohne Tabus über gesellschaftliche Bedarfe zu reden, nahmen die Kolleginnen und Kollegen in zwei Arbeitsgruppen beim Wort: Sie berichteten über die Arbeit in Kitas, in denen es keine Zeit für den notwendigen Austausch zwischen den Beschäftigten gibt, über inklusiven Unterricht, der diesen Namen nicht verdient, über überfüllte Seminarräume an der Hochschule, über die Anschaffung von Computern, für die es weder Support noch Nutzungskonzepte und Fortbildung gibt und vieles mehr.

Für eine abschließende Podiumsdiskussion hatte die GEW Hessen die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen eingeladen: Unter der Leitung von Ludger Fittkau vom Deutschlandradio diskutierten Mathias Wagner (Die Grünen), René Rock (FDP) und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) sowie in Vertretung von Michael Boddenberg (CDU) und Janine Wissler (Die Linke) die Bundestagsabgeordnete Bettina Wiesmann und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jan Schalauske mit der GEW-Landesvorsitzenden Maike Wiedwald und mit den Kolleginnen und Kollegen.

Die GEW-Forderung nach einem 500-Millionen-Euro-Sofortprogramm hielt Mathias Wagner für gut begründet, allerdings habe die schwarz-grüne Koalition noch etwas darauf gelegt: „Unsere Zusagen belaufen sich auf insgesamt 730 Millionen, die wir zusätzlich für bessere Bildung in Kitas, Schulen und Hochschulen bereitstellen – und das in jedem Jahr.“ Maike Wiedwald (GEW) wollte das so nicht stehen lassen: „Tatsächlich stehen alle Bildungsausgaben mit Ausnahme des Ganztags unter Finanzierungsvorbehalt. Unter wann immer ich frage, wann die zusätzliche Förderschullehrkraft für jede Grundschule kommt, wann die zusätzliche Deutschstunde kommt, wann die Kriterien für den ‚Pakt für den Ganztag‘ vorliegen, kriege ich dieselbe Antwort: ‚Irgendwann in dieser Legislaturperiode. Und die dauert bekanntlich bis 2023.“

Die guten Erfahrungen im Gemeinsamen Unterricht wollte auch Bettina Wiesmann nicht bestreiten, aber die Übertragung in die Fläche sei nicht umsetzbar. In den Verhandlungen mit dem grünen Koalitionspartner habe die CDU auf dem Erhalt der Förderschulen bestanden. Heftigen Widerspruch aus dem Publikum erntete ihre Kritik an den Steuerplänen der Gewerkschaften: Schließlich müsse man auch auf die „Leistungsträger“ achten.

René Rock (FDP) forderte, nicht nur über die Höhe der Ausgaben zu sprechen, sondern auch über Prioritäten und griff dabei die Forderungen im Sofortprogramm der GEW auf. Die im Wahlkampf vor der Landtagswahl 2018 platzierte Entscheidung der schwarz-grünen Regierung, 310 Millionen Euro für die Beitragsfreiheit von Kitas bereitzustellen, bringe „keine zusätzliche Minute für Kinder“. Sie ändere nichts an fehlenden Zeiten für Vor- und Nachbereitung und nichts am Personalschlüssel und sei deshalb „kein Beitrag zu mehr Qualität“.

Kritik an der „Schuldenbremse“ artikulierten nur Jan Schalauske (Linke) und – sehr viel zurückhaltender Thorsten Schäfer-Gümbel, der den Dissens mit den Gewerkschaften bei der Volksabstimmung von 2011 nicht verschwieg. Es sei der SPD damals aber gelungen, in Artikel 141 festzuschreiben, dass sich die Verantwortung von Landtag und Landesregierung nicht nur auf die Ausgaben, sondern auch auf die Einnahmen erstrecke. Ansonsten habe er mit Bezug auf die Forderungen der Gewerkschaften im Hinblick auf den Zustand des Bildungssystems „mit Demut zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich die hessischen Wählerinnen und Wähler mehrheitlich für ein ‚Weiter So‘ der alten und neuen Koalition entschieden haben“. Jan Schalauske konterte mit dem Hinweis, dass sich genau an der Einnahmenseite weder in Hessen noch in Berlin etwas geändert habe: Die Wiedereinführung der Vermögensteuer würde auch in einer extrem moderaten Version bereits zwei Milliarden Euro in den Landeshaushalt spülen, die unter anderem für bessere Bildung verwendet werden könnten. Mit der CDU-Politikerin Wiesmann wusste er sich nur in dem Punkt einig, dass nicht nur der Bildungsbereich besser ausgestattet werden müsse: „Hier fällt mir natürlich gleich die Sozialpolitik ein.“

Anders als René Rock misstraut Schäfer-Gümbel nicht nur den „Ankündigungen im Koalitionsvertrag“ sondern auch den „Zahlen im Haushalt“: „Stellen im Haushalt sagen gar nichts darüber aus, in welchem Umfang dann auch tatsächliche zusätzliche Pädagoginnen und Pädagogen in der Kita oder in der Schulklasse stehen.“ Das gelte im Übrigen auch für die Sachhaushalte, die zum großen Teil auf Grund geschrumpfter Kommunalverwaltungen gar nicht mehr in reale Investitionen umgesetzt werden können.

Den Widerspruch zwischen Ankündigungen und Realität brachte eine Förderschullehrerin aus Hanau am Ende der Debatte engagiert auf den Punkt: „Ich höre hier ganz viel, was alles für die Bildung gemacht wird. Und dann gehe ich morgen wieder in meine Grundschule und sehe etwas ganz anderes: Mangel an allen Ecken und Enden, eine Stunde für jedes Kind mit Förderbedarf, das nenne ich zynisch.“ Mathias Wagner und Bettina Wiesmann als Vertreter der Regierungsparteien nahmen die Einladung in die Schule an. 


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