Qualifizierungsangebote erforderlich

Zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Lehramtsabschlüssen | HLZ Juni 2024

 

Der Beruf Lehrkraft ist eine der häufigsten Qualifikationen, die nach Deutschland migrierte Menschen mitbringen. Dennoch sind Lehrkräfte, die ihren Abschluss im Ausland erworben haben, an den Schulen nur selten zu finden. Dafür gibt es viele Gründe: Die sprachlichen Barrieren sind hoch, vielen fehlt das fast nur in Deutschland übliche zweite Unterrichtsfach. Um im Beruf tätig werden zu können, ist eine Anerkennung des ausländischen Abschlusses als gleichwertig mit einer hiesigen Ausbildung erforderlich. Nur gut jeder zehnte Antrag wird jedoch positiv beschieden. Um mehr im Ausland ausgebildete Lehrkräfte für die Schulen zu gewinnen, ist zweierlei erforderlich: Zum einen Vereinfachungen im Anerkennungsverfahren, zum anderen passgenaue Qualifizierungsangebote.


Die GEW hat 2021 die Studie „Verschenkte Chancen?!“ veröffentlicht. Sie zeigt die vielfältigen Hürden auf, mit denen im Ausland ausgebildete Lehrkräfte im Anerkennungsverfahren konfrontiert sind. Bundesweit enden nur 11 Prozent der Anträge mit einem positiven Bescheid, der es ermöglicht, in diesem „reglementierten“ Beruf tätig zu werden. Der Anteil der negativen Bescheide liegt bei 17 Prozent. Zwei Drittel der Antragstellenden wird eine Ausgleichsmaßnahme auferlegt, es werden also wesentliche Unterschiede der Ausbildung festgestellt, die es in bis zu drei Jahren auszugleichen gilt. Das gelingt nur einer geringen Zahl, belastbare Daten hierzu liegen leider nicht vor. Wir schätzen, dass insgesamt nur ein Fünftel aller Antragstellenden letztendlich die Anerkennung und Gleichstellung gelingt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass vier Fünftel nicht in ihrem Beruf tätig werden können. Das ist zuallererst für die Betroffenen ein Problem. Auch die interkulturelle Bildung könnte profitieren. Es mutet zudem angesichts des Lehrkräftemangels absurd an, dass so viel Potential verschenkt wird.


In die Politik kommt Bewegung

Die GEW hat auf ihrem Gewerkschaftstag 2022 beschlossen, sich für die „Gleichstellung von Pädagog*innen mit internationalen Berufs- und Hochschulqualifikationen“ einzusetzen. Die Anerkennung nicht-deutscher Abschlüsse soll über ein ganzes Maßnahmenbündel erleichtert werden. Darüber hinaus werden „anerkennungsbezogene Qualifikationsmöglichkeiten“ gefordert, „die klare Perspektiven zur vollen Lehramtsbefähigung eröffnen“ (Beschluss 3.46). Und inzwischen hat sich tatsächlich einiges bewegt. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz nannte im Januar 2023 in ihren „Empfehlungen zum kurzfristigen Umgang mit dem Lehrkräftemangel“ als eine zentrale Maßnahme zur „Erschließung von Beschäftigungsreserven bei qualifizierten Lehrkräften“ ausdrücklich die erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen. Dieses Papier wurde nicht zuletzt von der GEW aus vielerlei Gründen scharf kritisiert. In der HLZ (3-4/2023) haben wir konstatiert, dass sich die Kommission damit auf „Irrwege“ begeben hat – unter anderem, weil sie den Zugang zu Teilzeit deutlich einschränken wollte.


Doch gegen die Empfehlung bezüglich der ausländischen Abschlüsse gab es keinerlei Widerspruch. Die Kultusministerkonferenz machte sich diese dann wenige Monate später zu eigen. Dabei blieb sie zwar recht vage, wie es in diesem Gremium des kleinsten gemeinsamen Nenners zumeist der Fall ist, doch die politische Willensbekundung wurde deutlich formuliert. Am 17. März 2023 nannte sie als neunte von zwölf Maßnahmen als Reaktion auf den Lehrkräftebedarf die folgende: „Die Länder prüfen Möglichkeiten, das Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene Abschlüsse zu verbessern sowie internationale Bewerberinnen und Bewerber mit im Ausland erworbenen Abschlüssen schneller für den Schuldienst zu qualifizieren.“


Hier kann keine systematische Bestandsaufnahme erfolgen, wie sich die Anerkennungspraxis zwischenzeitlich verändert hat. In zahlreichen Bundesländern wurden unterschiedliche Maßnahmen ergriffen mit dem Ziel, diese zu verbessern. Ein Beispiel aus einem angrenzenden Bundesland soll dargestellt werden: Rheinland-Pfalz zeichnete sich bis vor kurzem durch eine restriktive Praxis aus, die eher strenger als in Hessen war. Für EU-Bürgerinnen und Bürger handelt es sich bei der Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikation um einen individuellen Rechtsanspruch, der sich aus einer Europäischen Richtlinie ableitet. Zwar eröffnen alle Bundesländer auch bei Nicht-EU-Abschlüssen diese Möglichkeit. Doch Rheinland-Pfalz war bislang eines der wenigen Bundesländer, die den Zugang zu einer Ausgleichsmaßnahme nur EU-Bürgerinnen und Bürgern gewährten. Da bei einem Großteil eine solche auferlegt wird, war der Mehrzahl der Lehrkräfte aus dem außereuropäischen Ausland der Weg in den Beruf versperrt. Mit dem im November 2023 beschlossenen „Landesgesetz über die Feststellung der Gleichwertigkeit ausländischer Lehrkräfteberufsqualifikationen in Rheinland-Pfalz“ wurden Ausgleichsmaßnahmen für Nicht-EU-Lehrkräfte geöffnet. Darüber hinaus können in Mangelfächern Abschlüsse mit nur einem Unterrichtsfach anerkannt werden, was eine dauerhafte Beschäftigung auf Angestelltenbasis ermöglicht.


Und in Hessen?

Die Anerkennungspraxis in Hessen ist bislang im bundeweiten Vergleich im Mittelfeld anzusiedeln. Den Ausschluss von Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürgern von Ausgleichsmaßnahmen kennt Hessen zwar nicht. Auch fallen keine Gebühren für die Antragstellung an, wie sie in einigen Bundesländern erhoben werden. Andererseits bestehen inzwischen bundesweit an mehreren Universitäten Angebote, die sich an migrierte Lehrkräfte richten. Diese sind einem möglichen Anerkennungsverfahren vorgelagert. Die Programme sind in der Regel auf ein Jahr ausgelegt und bieten sowohl Sprach- und Fachsprachangebote auf C-Niveau als auch didaktische und schulpädagogische Lehrveranstaltungen. Auch Basisinformationen zum deutschen Schulsystem werden vermittelt. Beispiele sind das „Refugee Teachers Program“ an der Universität Potsdam, „InterTeach“ an den Universitäten in Flensburg und Kiel sowie „Lehrkräfte plus“ an fünf Universitäten in Nordrhein-Westfalen. In Hessen gibt es bislang kein einziges vergleichbares Angebot.


Wenn wesentliche Unterschiede in der Ausbildung festgestellt wurden und deswegen eine Ausgleichsmaßnahme auferlegt wurde, kann diese entweder in einem Anpassungslehrgang oder in einer Eignungsprüfung bestehen. Die Prüfung spielt jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Bezogen auf den schulpraktischen Teil entspricht eine Ausgleichsmaßnahme in Hessen dem regulären Vorbereitungsdienst. Das passt nur bedingt zur Zielgruppe, denn diese verfügt in der Regel bereits über jede Menge Berufserfahrung. Andererseits wird ihr in diesem Rahmen nicht das angeboten, was sie viel dringender bräuchte: Informationen über das deutsche Schulsystem, über didaktische Traditionen und fachsprachliche Deutschkurse auf C-Niveau. Der Einstellungsbericht der Hessischen Lehrkräfteakademie gibt Auskunft über die Zahl der Lehrkräfte aus dem Ausland, die einen Anpassungslehrgang belegen. Zum November 2023 wurden nicht mehr als zwei (!) Lehrkräfte in einen solchen eingestellt.
 

Doch es gibt auch Positives zu vermelden: Noch der ehemalige Kultusminister Alexander Lorz hat entschieden, die Problematik des zweiten Unterrichtsfachs zu adressieren. Dabei setzte er jedoch – anders als in Rheinland-Pfalz – auf die Nachqualifizierung in einem zweiten Fach im Rahmen einer eigens aufgelegten Ausgleichsmaßnahme für das Haupt- und Realschullehramt. Die Maßnahme dauert mit 36 Monaten länger als der Vorbereitungsdienst beziehungsweise ein schulpraktischer Anpassungslehrgang. In dieser Maßnahme ist ein „sprachliches Unterstützungsangebot in Deutsch als Unterrichtssprache“ vorgesehen. Zudem ist der Erwerb eines zweiten Fachs möglich, allerdings stehen dafür nur Mathematik und Kunst zur Verfügung. Wenn es für die Gleichstellung des Abschlusses erforderlich ist, kann zudem eine wissenschaftliche Hausarbeit verfasst werden. Das Programm ist angesichts des hohen Pensums an eigenverantwortlichem Unterricht zweifelsohne anspruchsvoll. Gleichwohl weist es in die richtige Richtung und wurde daher vom Hauptpersonalrat Schule sowie der GEW Hessen im Rahmen der üblichen Verbändeanhörung grundsätzlich begrüßt. Einstellungen sind noch bis zum 1. August dieses Jahres möglich. Es handelt sich hierbei allerdings, wie bei allen Sondermaßnahmen gegen den Lehrkräftemangel, um eine Ad-hoc-Maßnahme. Es mangelt somit nach wie vor an auf Dauer angelegten passgenauen Qualifizierungsangeboten.


Literatur

George, Roman (2021): „Verschenkte Chancen?!“ Die Anerkennungs- und Beschäftigungspraxis von migrierten Lehrkräften in den Bundesländern, herausgegeben vom GEW-Hauptvorstand, Frankfurt am Main.
Informationen zur Ausgleichsmaßnahme für internationale Lehrkräfte für das Lehramt an Hauptschulen und Realschulen (AMHR) stehen auf der Homepage der Hessischen Lehrkräfteakademie: lehrkraefteakademie.hessen.de > Ausbildung von Lehrkräften > Internationale Lehramtsabschlüsse