Wer soll das bezahlen?

Zu den finanzpolitischen Problemen der Corona-Krise

HLZ 6/2020

Bund und Bundesländer versuchen, den Absturz der deutschen Wirtschaft aufgrund der Corona-Krise durch kreditfinanzierte Maßnahmenpakete von erheblicher Größe abzufedern. Ende März wurde im Bundestag beschlossen, Kredite in Höhe von 156 Milliarden Euro aufzunehmen. Fast zeitgleich hat der Hessische Landtag ebenfalls einen Nachtragshaushalt verabschiedet. Der Landesregierung stehen so zwei Milliarden Euro für zusätzliche Ausgaben zur Verfügung. Weitere haushaltspolitische Maßnahmen sind sowohl auf der Bundes- als auch auf der Landesebene angekündigt.

Zwar sieht die im Grundgesetz und in der Hessischen Landesverfassung verankerte Schuldenbremse vor, dass konjunkturbedingte Auslastungsschwankungen der Wirtschaft und ihre Auswirkungen auf Bundes- und Landeshaushalt die Aufnahme von Krediten ermöglicht. Zudem verfügt der Bund im Gegensatz zu den Bundesländern generell über die Möglichkeit, sich in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu verschulden. Da diese Spielräume aber weder im Bund noch in Hessen und anderen Bundesländern für die verabschiedeten Nachtragshaushalte ausreichen, wird von der Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht, nach der in einer außergewöhnlichen Notsituation Kredite zur Finanzierung von staatlichen Ausgaben möglich sind. Für diese Kredite ist allerdings ein Tilgungsplan aufzustellen, der die Rückzahlung „in angemessener Zeit“ vorsieht. Für die Mittel, die der Bund an Krediten aufgrund der Ausnahmeregel aufnimmt, sind 20 Jahre festgeschrieben worden. In Hessen ist gesetzlich geregelt, dass die vollständige Tilgung „regelmäßig über einen Zeitraum von sieben Jahren erfolgen“ soll.

Wir wirken die Maßnahmen?

Die staatlichen Maßnahmen von Bund und Ländern sind zum einen direkt als Hilfen zur Stärkung des Gesundheitssystems und zur Pandemiebekämpfung gedacht, zum anderen erhalten kleine Unternehmen, Selbständige und Freiberufler Zuschüsse für ihre Betriebskosten, die nicht zurückgezahlt werden müssen.

Das wichtigste Hilfsinstrument für die abhängig Beschäftigten ist die so genannte Kurzarbeit bzw. das in diesem Zusammenhang bezahlt Kurzarbeitergeld. Im Falle von Kurzarbeit wird die übliche Arbeitszeit aufgrund eines vorübergehenden Arbeitsausfalls verringert. Von der Kurzarbeit können einige oder alle Beschäftigte in einem Betrieb betroffen sein. Kurzarbeitergeld wird gezahlt, um Entlassungen zu vermeiden. Es dient dazu, den Verdienstausfall der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zumindest in Teilen auszugleichen. Zum Teil wird das Kurzarbeitergeld aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen aufgestockt.

So positiv die geschilderten Maßnahmen auch zu bewerten sind – sie werden einen dramatischen Absturz der deutschen Konjunktur nicht verhindern können. Da das Kurzarbeitergeld die Einkommenseinbußen der abhängig Beschäftigten nicht voll wettmacht und die gegen die Corona-Pandemie verhängten Maßnahmen Konsummöglichkeiten drastisch einschränken, wird es zu Nachfrageausfällen kommen. Auch Selbständige und Freiberufler werden zum Teil erhebliche Einkommenseinbußen aufweisen, die nicht ausgeglichen werden. Zusätzliche Kredite, die von Unternehmen jetzt aufgenommen werden müssen, können schnell zur Überschuldung führen. Zudem dürfte eine hohe Unsicherheit sowohl bei den privaten Haushalten als auch bei den Unternehmen bestehen, solange die medizinische Lage nicht vollkommen unter Kontrolle ist. Diese Unsicherheit dürfte bei den privaten Haushalten zu einer allgemeinen Kaufzurückhaltung bei Gütern für den langfristigen Gebrauch und bei den Unternehmen zum Aufschub von Investitionen führen. Auch die hohe Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Außenhandel dürfte sich als Problem erweisen, denn es ist ein erheblicher Einbruch der Exportnachfrage zu erwarten. Und schließlich ist nicht absehbar, in welchem Umfang internationale Lieferketten unterbrochen sein werden.

Letztlich ist die Tiefe des wirtschaftlichen Einbruchs davon abhängig, wie lange die aufgrund der Pandemie ergriffenen Maßnahmen aufrechterhalten werden müssen.

Wenig Beachtung findet im Moment die finanzielle Lage der Gemeinden, Städte und Landkreise. Auf diese kommen erhebliche Probleme zu, da sie mit dem Wegbrechen ihrer Einnahmen aus Steuern, Nahverkehr und öffentlichen Einrichtungen (z.B. Schwimmbädern) zurecht kommen müssen. Problematisch ist dies, weil viele Kommunen bereits in der Vergangenheit erhebliche Sparanstrengungen unternommen haben, um ihre Haushalte auszugleichen und Kredite abzubauen. Gerade auf der kommunalen Ebene besteht ein erheblicher Investitionsstau etwa im Bereich der Schulen und der Verkehrsinfrastruktur. Zurückgehende Einnahmen aus Steuern drohen hier die sowieso viel zu geringe Investitionstätigkeit weiter zu einzuschränken. Hinzu kommt ein Mangel an Personal in vielen Bereichen, zu denken ist etwa an die Kindertageseinrichtungen.

Auf der europäischen Ebene ist der Stabilitätspakt ausgesetzt worden. Dadurch unterliegen die Länder der Eurozone keinen Beschränkungen bei der Aufnahme von Schulden, um die Corona-Krise zu bekämpfen. Um weitere Maßnahmen gab und gibt es zwischen den Euroländern heftigen Streit. Beschlossen wurden ein 500 Milliarden Euro umfassendes Hilfsprogramm und die Gründung eines Wiederaufbaufonds. Eine Einigung der Mitgliedsstaaten über Umfang, Finanzierung und Verwendung der Gelder stand bei Redaktionsschluss dieser HLZ noch aus.

Ein erheblicher Konflikt besteht unter den europäischen Ländern über die Einführung von Euro- bzw. Corona-Bonds: Gemeinsam aufgenommene Anleihen könnten Mittel mobilisieren, die dann insbesondere hochverschuldeten südeuropäischen Ländern helfen. Während die südeuropäischen Länder eine gemeinsame Kreditaufnahme einfordern, um so auf Basis von günstigen Finanzierungskosten an ausreichende Mittel zu kommen, lehnen insbesondere Deutschland, die Niederlande und Finnland dies ab.

Zur finanziellen Stabilisierung der Lage in der Eurozone trägt aktuell die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) bei. Sie hat ein Pandemie-Notfall-Kaufprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro für dieses Jahr verkündet. Zusammen mit bereits bestehenden Kaufprogrammen ergibt sich rechnerisch so ein monatliches Kaufvolumen von 100 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass die EZB die bisher bestehende Regel suspendiert hat, nicht mehr als ein Drittel der ausstehenden Anleihen eines Landes zu kaufen. Die EZB kann so verhindern, dass die Renditen der Staatsanleihen von Ländern wie Italien oder Spanien und damit die Zinskosten der betroffenen Staaten steigen. Faktisch stellt die EZB durch den Erwerb der Staatsanleihen am Sekundärmarkt die Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte der Euro-Staaten sicher, indem sie bereits in Umlauf befindliche Anleihen kauft.
Die aktuelle Krisenpolitik der öffentlichen Hand ist mit Blick auf die Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in Deutschland vom Grundsatz her absolut richtig und angemessen: Die Massenkaufkraft soll stabilisiert und eine Welle von Unternehmenspleiten verhindert werden. Hinterfragt werden kann natürlich, ob die ergriffenen Maßnahmen ausreichen. Die Antwort auf diese Frage dürfte vor allem davon abhängen, wie lange die krisenbedingten Maßnahmen im Inland noch andauern und wie stark die Exportnachfrage einbricht.

Große Probleme werden allerdings aufgrund der Schuldenbremse auf die öffentlichen Haushalte zukommen: Wenn die Krise vorüber ist, besteht der Zwang zur Tilgung der jetzt aufgenommenen Kredite. Außerdem müssen die Defizite in den Haushalten zurückgeführt werden. So drohen massive Spar- und Kürzungsprogramme, die die Konjunktur zusätzlich belasten und wichtige staatliche Aufgaben beschneiden. Hier entpuppt sich die Schuldenbremse einmal mehr als ein untaugliches Instrument für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik.

Problematischer als in Deutschland ist die Lage in den südeuropäischen Ländern. Hier liegt die Staatsverschuldung aufgrund der Euro-Krise aktuell schon auf einem Niveau zwischen knapp 100 und 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die ökonomische Situation in diesen Ländern droht sich in der nächsten Zeit unter anderem deshalb weiter zuzuspitzen, weil ihre Wertschöpfung stark vom Tourismus abhängt – in Portugal, Spanien, Griechenland und Italien sind dies zwischen zehn und 20 Prozent. Auch der Rückgang der Urlaubsreisen in diese Länder wird Wirtschaft und Beschäftigung in erheblichem Umfang belasten.

Um die Probleme der Eurozone zu lösen, wären zunächst einmal die schon erwähnten Corona-Bonds ein geeignetes Instrument. Durch die gemeinsame Haftung für die Staatsschulden könnten Mittel mobilisiert werden, um auch den hochverschuldeten europäischen Staaten genug Geld zur Bewältigung der aktuellen Krise zukommen zu lassen. Diese Länder mahnen zurecht eine europäische Lösung der Corona-Krise an. Wird diese Lösung nicht gewählt, dürfte die Gefahr sehr hoch sein, dass die Eurozone und damit die gesamte Europäische Union auseinanderbrechen.

Das Problem der steigenden Verschuldung im Euroraum könnte die Europäische Zentralbank lösen, indem sie die Corona-Bonds und aufgrund der Krise national emittierte Staatsanleihen aufkauft – und diese Staatsverschuldung nach der Krise dann faktisch stillgelegt wird, etwa durch eine Umwandlung in unverzinsliche Staatsanleihen mit einer unendlichen Laufzeit. Dies käme einer Direktfinanzierung der staatlichen Haushalte durch die Notenbank ohne Zins- und Tilgungsverpflichtung gleich, würde aber natürlich einen Tabubruch mit der neoliberalen Zentralbank-Doktrin darstellen.

Eine Direktfinanzierung des Staates durch Notenbanken wird in der Regel abgelehnt, insbesondere weil hierdurch eine nachfrageseitig angetriebene Inflation befürchtet wird. Diese Sorge ist grundsätzlich nicht unbegründet, aber in der gegenwärtigen Situation einer deutlich einbrechenden Nachfrage ist ein starker Anstieg der Preissteigerung nicht zu erwarten. Vielmehr kommt es aktuell darauf an, Zahlungsketten möglichst aufrecht zu erhalten und schon bisherr hochverschuldeten Staaten die Möglichkeit zu eröffnen, dringend erforderliche Maßnahmen zu ergreifen. Und würden die Staatsschulden aufgrund der Corona-Krise nach einer wirtschaftlichen Erholung wie vorgeschlagen faktisch gestrichen und die Schuldenbremse bzw. der europäische Fiskalpakt abgeschafft, dann wären die öffentlichen Haushalte nicht den strangulierenden Konsolidierungszwängen ausgesetzt, die nach der Krise drohen.

Kai Eicker-Wolf