Es geht auch anders

Neubau der Hessenwaldschule in Weiterstadt

Christel Fleischmann, bis 2006 grüner Kreistagsabgeordneter im Landkreis Darmstadt-Dieburg, ging regelmäßig in die Schulen in der Trägerschaft des Kreises, um Baumängel, marode Strukturen und Gesundheitsbelastungen öffentlich anzuprangern, bis ihm die damalige Erste Kreisbeigeordnete ein Betretungsverbot erteilte. Als er schließlich 2006 selbst in diese Funktion gewählt wurde, wollte er es anders machen: „Im Eigenbetrieb Da-Di-Werk habe ich bis heute ein engagiertes Team von Fachleuten, die für die bauliche Unterhaltung, die Sanierung und den Neubau unserer Schulen zuständig sind.“

Aus den 150 Millionen Euro, die er dem Landrat damals für ein Sanierungsprogramm abhandeln konnte, wurden bis heute über 500 Millionen, die reichten, um die Hälfte der 81 Schulen zu sanieren: „Und das immer mit einstimmigen Beschlüssen des Kreistags!“ Die von der Stadt Frankfurt erhobene Zahl von einer Milliarde Euro oder die Summe von mehr als 400 Millionen für die Landeshauptstadt Wiesbaden hält Fleischmann deshalb für viel zu niedrig. Auf die „bundesweite Beachtung“ für die in Fleischmanns Amtszeit erarbeiteten Schulbaurichtlinien des Landkreises Darmstadt-Dieburg weist HLZ-Autor Dieter Staudt lobend hin (HLZ S.16).
Wenig Verständnis hat Fleischmann für den Schulbau in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP):
„Offenbach hat mit seinem ‚wunderbaren‘ ÖPP-Programm den Schulbau an die Wand gefahren und zwar finanziell genauso wie qualitativ.“

Der Kritik des Schuldezernenten an den ÖPP-Projekten schloss sich bei einer Pressekonferenz der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen in der Hessenwaldschule in Weiterstadt im Landkreis Darmstadt-Dieburg auch Architekt Professor Tobias Wulf an, der die inzwischen auch mit dem Hessischen Architekturpreis prämierte Schule entworfen hat. An ÖPP-Projekten würde sich sein Büro „gar nicht erst beteiligen.“ Peter Bitsch, Vizepräsident der Architekten- und Stadtplanerkammer, sieht in ÖPP-Projekten „das produktive und qualitätsstiftende Dreieck aus Bauherr, Architekt und Bauunternehmen“ grundsätzlich in Frage gestellt:
„Wer mit ÖPP Kosten senken will, kann dies nur tun, wenn er auf die kreativen Potenziale von Architekten verzichtet und deren Aufgabe auf Ingenieure verlagert.“

Beim Rundgang durch den im September 2016 eröffneten Neubau der Hessenwaldschule erschließt sich den Besucherinnen und Besuchern, wie eine konsequente Einbeziehung der Nutzerinnen und Nutzer, der Schülerinnen und Schüler und der Lehrkräfte, in die Planung und Ausgestaltung der Schule und die Umsetzung der Pläne der Architekten „ohne nachträgliche Kostenvorbehalte des Bauherrn“ (Tobias Wulf) Früchte tragen kann: Ruheräume und Rückzugsmöglichkeiten für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler, lichtdurchflutete Räume, ein großes Atrium mit Blick in den Himmel, vielfach und ansprechend gegliederte Sozialflächen und funktionierende Toiletten.

Bei der Pflege der Toiletten setzt Schulleiter Markus Bürger auf die Tatsache, dass alle Schülertoiletten jeweils einem Jahrgang der kooperativen Gesamtschule zugeordnet sind: „Da kümmert man sich dann schon mehr um deren Reinhaltung als in anonymen Großanlagen.“ Dass sich die Schülerinnen und Schüler auch in den Pausen in den Jahrgangsclustern mit Ruheoasen, Teeküche, Gruppenräumen und einem voll verglasten (!) Lehrerzimmer aufhalten dürfen, hat sich nach Aussagen Bürgers ebenfalls bewährt: „Dass dadurch keine zusätzlichen Aufsichten anfallen, dafür sorgt schon die Gewerkschaft.“

Die räumliche Gliederung der Schule „weg von der Schachtel hin zum Kontinuum“ (Architekt Wulf) eröffnet mit zusätzlichen Fluchtwegen über Außentreppen in jedem Jahrgangsbereich auch Möglichkeiten, die Anforderungen des Brandschutzes zu erfüllen, „ohne alles, was zu einem guten Lernklima erforderlich ist, von Büchern über Lernplakate bis hin zu gemütlichen Sitzkissen aus der Schule zu verbannen“.

Die Aussagen von Kammervizepräsident Bitsch zum Investitionsbedarf für Schulen („Neue Schulen braucht das Land“) untermauerten Maike Wiedwald und Kai Eicker-Wolf vom GEW-Landesvorstand. Das Kommunale Investitionsprogramm von Bund und Land Hessen (KIP 2) sei ein richtiger Anfang, aber eben auch „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Die stellvertretende Landesvorsitzende betonte dabei noch einmal den Primat der Pädagogik: „Das Schulgebäude gilt zurecht als ‚der dritte Pädagoge‘. Marode Schulgebäude, trostlose Räume, lärmverstärkende Flure und ein ungesundes Raumklima können viele Anstrengungen der Lehrerinnen und Lehrer konterkarieren.“

Dass die Größe der Klassenräume mit 58 Quadratmetern noch unter der Richtgröße der Schulbaurichtlinien liegt, stimmte die GEW-Delegation allerdings nachdenklich. Dies werde zwar durch die Verglasung der Klassenräume auch zu den Innenräumen optisch kaschiert und teilweise durch zusätzliche Flächen für Gruppenarbeit aufgefangen, sei aber bei den derzeitigen Klassengrößen ein Manko.

Auf Nachfrage der HLZ erklärte Schuldezernent Fleischmann die Vorgehensweise des Schulträgers. Zunächst prüfe man die Substanz einer Schule und die Möglichkeiten für ihre Sanierung, die erst einmal Vorrang vor einem Neubau habe. Bei der Hessenwaldschule habe die Substanz des Baus aus den siebziger Jahren keine Alternative zum Neubau geboten. Außerdem sei bei einer Sanierung mit der Freisetzung von Asbest zu rechnen gewesen. Um nicht nur die Wünsche der Schulgemeinde und die Anforderungen einer Ganztagsschule zu erfüllen, sondern auch baubiologischen und ökologischen Ansprüchen der Energieeffizienz Rechnung zu tragen, entschied sich der Schulträger für den Neubau, der dann – zwei Jahre später als geplant - eröffnet wurde. Dabei weiß Fleischmann auch um die günstigen Bedingungen für die Errichtung eines Neubaus. Da sich die Schule in einem offenen Waldgebiet zwischen Erzhausen und dem Weiterstädter Ortsteil Gräfenhausen befindet, konnte das neue Schulgebäude ohne zusätzliche Ausweichquartiere oder Container neben der alten Schule errichtet werden. Die dafür geopferte Waldfläche soll nach dem Abriss der alten Schule wieder aufgeforstet werden.

Weitere Informationen: www.hessenwaldschule.net; Fotos: Harald Freiling