Schulen sanieren sofort!

Breites Bündnis für Schulsanierung in Wiesbaden

Unter der Parole „Schulen sanieren sofort“ engagiert sich die Wiesbadener GEW seit vielen Jahren in der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Sanierung von Schulen. Wer denkt „Landeshauptstadt = Vorzeigestadt = prächtige Schulen“, irrt sich. In Wiesbaden verrotten die Schulgebäude. Kinder und Lehrerinnen und Lehrer werden bei fast jedem Toilettengang auf die Probe gestellt und viele Eltern mussten schon Hand anlegen, um das Schlimmste zu verhindern. Wer sich von dieser bildhaften Sprache nicht angesprochen fühlt, dem sei es mit den Worten des gerade gegründeten Bündnisses Schulsanierung gesagt: „Der Sanierungsstau an Wiesbadener Schulen beläuft sich auf mindestens 400 Millionen Euro. Im Haushaltsplanentwurf der Stadt Wiesbaden für die Jahre 2018/19 sind jährlich gerade einmal 9 Millionen Euro für die Instandhaltung von Schulen vorgesehen. Das ist weit entfernt von den mindestens 20 Millionen Euro, die jährlich allein für die Erhaltung benötigt werden.“
Die Zahlen sind gar nicht strittig. Sie fußen auf der von der Stadt Wiesbaden vorgelegten Prioritätenliste. Sie listet alle Bedarfe der Schulen Wiesbadens auf und bringt sie in eine Reihenfolge. Was möglicherweise als Placebo für tatsächliche Handlung erdacht wurde, ist zum Politikum geworden. Erst rangelten einflussreiche politische Strömungen, einflussreiche Elterngruppen und die Verwaltung um die Reihenfolge. Nach der Veröffentlichung zeigte sich aber sehr schnell, dass die Realität und der weiter nagende Zahn der Zeit die Reihenfolge ändern. Dazu zwei aktuelle Beispiele:

  • Die Schülerschaft der Elly-Heuss-Schule wurde zu Beginn des Jahres 2017 fast eine Woche in die Zwangsferien geschickt. Die Heizung fiel mitten im Winter aus. Die Raumtemperatur von 12 Grad machte den Unterricht schlichtweg unmöglich. Die damalige Stadträtin, die für die Freigabe der benötigten Mittel zuständig war, war schon mehrfach mit dem Problem konfrontiert und schon viel Geld war in die Reparaturarbeiten geflossen. Bereits im Februar 2016 habe man den Auftrag zur Reparatur der Hydraulikanlage an das Hochbauamt erteilt, das sich auch daran gemacht habe, den Auftrag auszuführen. Aber zuerst müsse man Ausschreibungen erstellen, Angebote begutachten, die Auftragsvergabe regeln …
  • In der Helene-Lange-Schule fand man bei Renovierungsarbeiten asbesthaltige Klebstoffreste im Teppich. Auch diese Schule schloss im März 2017 ihre Türen und musste so schnell als möglich saniert werden.
    Die beiden Beispiele zeigen drei interessante Fakten:
    1.) Obwohl Geld vorhanden ist, können die Aufträge nicht rechtzeitig umgesetzt werden.
    2.) Der Sanierungsstau ist so massiv, dass die Aufträge nicht in einer zuvor festgelegten Reihenfolge abgearbeitet werden können.
    3.) Viele Schule sind mit Schadstoffen belastet, so dass bei jeder kleinen Sanierung damit gerechnet werden muss, dass bislang versteckte Schadstoffe austreten.

Aus Punkt 1 hat die Verwaltung gelernt. Vom Prinzip der ‚Kassenwirksamkeit‘ verspricht sich der neue Dezernent mehr Flexibilität. Gelder können kurzfristig von einem Bau auf einen anderen „verschoben“ werden. Eine neue „Taskforce Schulbau“ aus Schulamt, Hochbauamt und Kämmerei überprüft viermal in Jahr, ob Mittel „ungenutzt“ sind und anderweitig verwendet werden könnten. Dennoch wird diese rein buchhalterische Maßnahme nicht den Mangel an Mitteln beheben, sondern nur den Abfluss optimieren. Aber auch das stößt auf Grenzen. Ein Mangel an Personal ergänzt den Mangel an Geld und führt in die Dauerspirale nach unten. Denn die Geldausgabe muss vergabetechnisch, bauaufsichtsrechtlich und politisch begleitet werden. Und weil es an eigenem städtischen Personal fehlt, bieten die bekannten Firmen ihre „helfende Hand“ zu Öffentlich-Privater Partnerschaft (ÖPP) oder Public Private Partnership (PPP) …

Aus Punkt 2 konnte nicht wirklich gelernt werden. Die Stadt Wiesbaden hat einfach nicht das nötige Geld. Sie will oder kann es sich auch nicht besorgen. Dagegen stehen Schuldenbremse, Genehmigung des Haushalts der Stadt durch die Landesregierung und zu wenig Mittel aus dem Kommunalen Investitionsprogramm II (HLZ S. 10). Da reichen die Mittel nicht einmal für ein paar Brennpunktstädte. „Wir würden ja gern, aber wir können nicht“, hören wir dann immer wieder. Und weil dieses Argument nicht ganz von der Hand zu weisen ist, beginnt das in der Politik so beliebte Schwarze-Peter-Spiel zwischen der Kommune Wiesbaden und dem Land Hessen aufs Neue.

Aber ein bisschen politische Kosmetik musste dennoch sein: Die Teile B und C der Prioritätenliste wurden einfach gestrichen. Ein mathematisch dargelegter Sanierungsbedarf war dann doch zu peinlich für die Stadtoberen. Brisant war, dass sich jede Schulgemeinde ausrechnen konnte, wann sie dran kommen sollte. Folgender Rechenweg war leicht möglich: Geplante Mittel im Haushalt (zurzeit rund 10 Millionen Euro pro Jahr) geteilt durch den errechneten Mittelbedarf aller anderen Schulsanierungen (Information aus der Prioritätenliste) = Ergebnis. Die einen konnten sich freuen, die anderen kämen voraussichtlich nach zehn Jahren dran oder auch erst nach 40 Jahren oder noch später… Beachtet man die Mittelbedarfssteigerung über die Jahre und die ungeplanten Sanierungskatastrophen, war dies überaus beachtlich. So beachtlich, dass die Teile B und C einfach nicht mehr veröffentlicht wurden. Übrig blieb Teil A. Und der ist auch schon lang und teuer.

Punkt 3: Das Bündnis für Schulsanierung, das aus allen relevanten Akteuren einer Schulgemeinde besteht, kritisierte zu Recht, dass „eine systematische Erfassung und Berücksichtigung der in vielen Schulgebäuden in der Vergangenheit eingesetzten gesundheitsschädlichen Stoffe“ noch nicht einmal stattgefunden hat. Kein Wunder! Das Desaster eines Schadstoffkatasters könnte mit dem der Prioritätenliste gleichziehen. So hält sich die Kommune mit Abwehrkämpfen über Wasser, betreibt Grenzwertzauber, indem Feinstaub bevorzugt gemessen wird, wenn der Raum zuvor zufälligerweise und ausnahmsweise einmal besonders gründlich gewischt wurde, oder freut sich über unzureichende Messungen und Prüfungen, die – wenn überhaupt – von engagierten Personalräten in den Schulen durchgesetzt werden.

Personalräte will man sowieso ganz raushalten, wenn es um Bau- und Sanierungsmaßnahmen geht. Die Gleichung der Stadtoberen lautet: äußere Schulverwaltung = Stadtverwaltung = Bauträger = Entscheider. Kooperiert die Stadt nicht auf freiwilliger Basis, hilft nur noch der Weg über die Öffentlichkeit, über die Elternbeiräte oder über den Arbeitsschutzausschuss. Dabei wäre doch der pädagogische Blick auf Gebäude, Raumaufteilung, Material, Akustik, Lichtverhältnisse und vieles mehr so wichtig. Räume strukturieren soziale Beziehungen, nicht umsonst wird der Raum als dritter Pädagoge bezeichnet (HLZ S. 16). Oft wird dann Geld für falsche Sachen ausgegeben oder es wird an falschen Stellen gespart. Schicke Fassaden und repräsentative Entrees statt Differenzierungsräume, Mensen, Kreativ- und Erholungsbereiche! Einziger Hoffnungsschimmer für den Einfluss der Schulpersonalräte ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz für die Landesbeschäftigten. Auf diesem Feld müssen wir als GEW in Zukunft stärker informieren und Hilfsangebote unterbreiten, um Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz ausfindig machen und auf die Beseitigung der Missstände drängen zu können.

Kommen wir zurück zu unseren 400 Millionen Investitionsstau. Wer kleckert statt zu klotzen, wird jedes Jahr vor einem gewachsenen Berg an Investitionsbedarfen stehen. Der jahrzehntelange Raubbau an unserer Infrastruktur, an unseren Schulen lässt sich nicht mit „Ein wenig hier und da“ beseitigen. Wer wissen möchte, wovon wir reden, möge sich die Gammelgalerie Wiesbadener Schulen auf der Homepage des GEW-Kreisverbands Wiesbaden-Rheingau anschauen. Er und sie kann sich selbst überzeugen, dass nur mit einem großen finanziellen Wurf der Wettlauf gegen die Schäden der Zeit an schulischen Gebäuden zu gewinnen ist.
Und wer meint, die Wertschätzung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, Kindern und Jugendlichen gebiete dies, möge auf der Seite www.openpetition.de unsere Petition „Sanierungsstau an Wiesbadener Schulen abbauen“ unterschreiben.

Die Autorinnen gehören zum Vorsitzendenteam des GEW-Kreisverbands Wiesbaden-Rheingau.

Kasten
„Bündnis Schulsanierung“ in Wiesbaden
Von einem „Pausenmodus“ sprach das Schuldezernat euphemistisch, als die Stadt im Jahr 2015 aufgrund von Haushaltsproblemen das - im Schneckentempo vollzogene - Abarbeiten der „Prioliste“ ganz stoppte. Nach mehreren einzelnen und gemeinsamen Aktionen gegen des „Pausenmodus“ gründete die GEW zusammen mit anderen Akteuren 2016 das „Bündnis Schulsanierung“. Es tagt in der Regel dreimal im Jahr, vor gemeinsamen Aktionen auch öfter. In der gemeinsamen Presseerklärung vom 21. 9. 2017 zum Start der Online-Petition des Bündnisses heißt es:
„Die inakzeptablen, teils katastrophalen baulichen Zustände der Wiesbadener Schulen haben Vertreterinnen und Vertreter von Schülerinnen, Schülern, Eltern, Lehrerinnen, Lehrern und politischen Parteien aus Wiesbaden zur Bildung eines ‚Bündnisses Schulsanierung‘ veranlasst. Heute hat das Bündnis eine Online-Petition gestartet. Die Petition richtet sich an die Stadt Wiesbaden. Unser Ziel muss es sein, für Wiesbadener Schülerinnen und Schüler annehmbare Lernbedingungen und für Wiesbadener Lehrer akzeptable Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wir fordern:
Verabschiedung und Umsetzung eines nachhaltigen Sanierungskonzeptes für die Wiesbadener Schulen, um den Sanierungsstau in den nächsten Jahren abzubauen.
Investitionen in die Schulen von mindestens 25 Millionen Euro jährlich sowie die Durchführung geplanter Neubauten und Sanierungen
Die für Instandhaltung zur Verfügung gestellten Mittel müssen sich am tatsächlichen Bedarf orientieren. 20 Millionen Euro jährlich stellen dabei die absolute Untergrenze dar, um einen weiteren Verfall zu verhindern.“
Bilderklärung

Diese und andere Fotos aus der Wirklichkeit Wiesbadener Schulen findet man in der „Gammelgalerie“ auf der Homepage der GEW Wiesbaden-Rheingau unter www.gew-wiesbaden.de.