Zum Beispiel: Frankfurt

Versäumnisse der Vergangenheit und politische Fallen

Im August 2017 wurden in Frankfurt drei neue Schulen eröffnet. Die Bedingungen, unter denen sie ihre Arbeit aufnehmen, zeigen, wie schwierig es ist, eine falsche Politik und massive strukturelle Versäumnisse kurzfristig zu korrigieren.

Im neuen Europaviertel zwischen Hauptbahnhof, Gallus und Messe wird eine Grundschule eröffnet. Ein neues Gebäude gibt es noch nicht, stattdessen eine Containeranlage an der Stephenson-Straße. Der endgültige Standort ist am Maastrichter Ring, die Feier findet im Zelt statt. Der Oberbürgermeister empfiehlt den Erstklässlern, Ausflüge zur Baustelle zu machen, um die Schule wachsen zu sehen, doch dort wurde bis Mitte September 2017 noch kein Bagger gesichtet. Der Architektenwettbewerb ist eben erst entschieden worden, ein Rechtsstreit noch nicht. Geht alles gut, wird die Schule 2020/21 fertig. Die Kinder gehen dann in ihr letztes Grundschuljahr ...

Im Stadtteil Riedberg wird die neue Integrierte Gesamtschule IGS Kalbach-Riedberg eröffnet. Auch für sie gibt es noch kein Gebäude am geplanten Standort. Statt Containern gibt es für sie ein Gebäude in „Holzmodulbauweise“, das später wieder abgebaut wird. Es sieht gar nicht mal so schlecht aus…
Expertinnen und Experten, die GEW und auch Schuldezernentin Sylvia Weber (SPD) hatten sich für den Stadtteil Niederrad eine Integrierte Gesamtschule (IGS) gewünscht. Die CDU bestand in der Römer-Koalition auf einer Kooperativen Gesamtschule (KGS). 2016 scheiterte deren Start an zu geringen Anmeldezahlen für den gymnasialen Zweig. 2017 hat es geklappt, weil das hessische Kultusministerium als Genehmigungsbehörde wollte, dass es klappt ...

Aktionsplan Schule

27 Jahre lang war das Frankfurter Schuldezernat unter Jutta Ebeling (1998-2012) und Sarah Sorge (2012-2016) in grüner Hand. Zehn Jahre lang regierte in Frankfurt eine schwarz-grüne Koalition, fünf Jahre davon in Kooperation mit der FDP. In dieser Zeit wurden die Schulentwicklung und die Sanierung von Schulen sträflich vernachlässigt. Die Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes 2007 steht beispielhaft für den Verzicht auf die notwendigen Einnahmen und brachte großen Unternehmen 100 Millionen Euro jährlich. Die Ideologie vom „schlanken Staat“ führte zum Abbau städtischen Personals und erhöhte den Druck, den Schulbau in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) zu organisieren.

Bei der Kommunalwahl 2016 verlor die schwarz-grüne Koalition fast 17 Prozentpunkte und damit auch ihre Mehrheit. Neue Bildungsdezernentin wurde Sylvia Weber (SPD), die in der neuen Koalition von SPD, CDU und Grünen mit ausgewechselten grünen Dezernentinnen und Dezernenten ein schwieriges Erbe übernahm.
Der 2014 verkündete „Aktionsplan Schulbau“ sah vor, dass bis 2018 insgesamt 150 Millionen Euro zusätzlich für Schulsanierungen zur Verfügung stehen, um ein „angenehmes und anregendes Lernumfeld“ (Sarah Sorge) zu schaffen. Die GEW kritisierte das Volumen als völlig unzureichend und fühlte sich „eher an ein Dritte-Welt-Land als an die reiche Stadt Frankfurt erinnert“. Konkret aufgelistet waren Maßnahmen für Brandschutz (20), undichte Dächer (11), marode Toiletten (14), bröckelnde Fassaden, undichte Fenster und defekte Heizungen (20). Die Umsetzung des Aktionsplans gestaltet sich bis heute schwierig und wenig transparent:

Maßnahmen zur „Bauunterhaltung“ und für „Abriss und Neubauten“ werden getrennt ausgewiesen. Gleichzeitig werden Maßnahmen aus dem Aktionsplan in den regulären Haushalt verschoben, aufgeschoben, durch andere Maßnahmen ersetzt oder Maßnahmen angekündigt, ohne deren Budget anzugeben.

Für viele Schulen mit Sanierungsbedarf gibt es kein Budget, sondern nur Planungsmittel. Da alles in einem Haushalt ausgewiesen wird und gegenseitig deckungsfähig ist, wird laufend geschoben oder priorisiert oder umgebucht oder ins nächste Haushaltsjahr übertragen.  Die bewilligten Mittel werden nicht ausgegeben, weil sie nicht ausgegeben werden können. Es fehlt am planenden und überwachenden Personal.

Zwei Schulentwicklungspläne in drei Jahren

Nach Jahren der Untätigkeit führten der zunehmende Druck durch steigende Schülerzahlen und entsprechende öffentliche Proteste 2015 zur Verabschiedung eines großen Schulentwicklungsplans (SEP). Er sieht die Errichtung von fünf neuen Grundschulen vor, die Erweiterung von 13 bestehenden Grundschulen, zwei Neubauten für bereits existierende Grundschulen, die Schließung und Umwandlung von Schulen und dadurch erforderliche Umbauten, die Errichtung eines neuen Gymnasiums, einer Gymnasialen Oberstufe und einer IGS. Zu der Frage, „mit welchen Kosten die Umsetzung aller im Schulentwicklungsplan enthaltenen Projekte verbunden wäre“, enthält der Plan die lapidare Aussage: „Derzeit liegen noch keine genauen Einschätzungen vor.“

Die neue SPD-Dezernentin kündigte nach ihrem Amtsantritt eine „Bestandsaufnahme für ein  Schulbauprogramm“ an. Bis 2020 fehlten schätzungsweise 430 Millionen Euro im Haushalt. 100 Tage nach ihrem Amtsantritt versprach sie, es werde „jährliche Fortschreibungen des SEP in Bezug auf Neuerrichtung von Schulen“ geben. Bis 2019 stünden elf Schulneugründungen an, davon acht in Neubauten, 13 Schulerweiterungsbauten und die Auflösung von acht provisorischen Standorten. Flächen und Haushaltsmitteln müssten zügig bereit gestellt werden.

Die steigenden Schülerzahlen bei den allgemein- und berufsbildenden Schulen geben ihr Recht. Die am 31.8.2017 beschlossene Fortschreibung des SEP sieht die Errichtung von zwei neuen Grundschulen zum Schuljahr 2020/21 vor, von zwei neuen Gymnasien zum Schuljahr 2018/19 bzw. 2020/21 und die Errichtung einer IGS zum Schuljahr 2019/20. Über die notwendigen finanziellen Mittel und die „personellen und sächlichen Folgekosten“ soll „im Rahmen der Aufstellung zukünftiger Haushalte und der jeweiligen mittelfristigen Finanzplanungen“ entschieden werden.

Das planende Personal fehlt

Neben den finanziellen Problemen wird ein anderes Problem immer drängender: Es fehlt das Personal für Planung, Bau und Controlling. Schon im Mai 2014 prangerte die damals oppositionelle SPD die Verschiebung von Investitionen durch die schwarz-grüne Stadtregierung an. Die Frankfurter Rundschau berichtete:
„Von 183 Millionen Euro, die ihr 2013 für Investitionen zur Verfügung gestanden hätten, habe Bildungsdezernentin Sarah Sorge (Grüne) nur 103 Millionen Euro ausgegeben. (…) Es fehle am notwendigen Personal in den städtischen Fachämtern.“

Auch die Stadtkämmerei berichtete in ihrem Jahresabschlussbericht 2014, „dass das fortgeschriebene Soll im Investitionsprogramm wie in den Vorjahren nicht annähernd ausgeschöpft wurde“. Aus dem Planansatz, dem Nachtragsetat und aus Budgetüberträgen standen Investitionsmittel von insgesamt 987,99 Millionen Euro zur Verfügung. Die „tatsächliche Auszahlungen“ lagen bei 367,65 Millionen Euro: „Das entspricht einer Quote von rund 37  %.“ Bei den Baumaßnahmen wurden sogar nur 30,7 % der verfügbaren Mittel verausgabt.
Auch bei der Durchsicht des Jahresabschlusses für 2015 kam die GEW zu einem vergleichbaren Resultat:
„Von den für 2015 veranschlagten und bewilligten Auszahlungen für die Investitionstätigkeit an Schulen in Höhe von 121 Millionen Euro konnten nur 62 Millionen ausgegeben werden. Die Hälfte der politisch bewilligten Mittel konnte also gar nicht investiert werden.“

Und der Jahresabschlussbericht für 2016 „krönt“ diese desaströse Entwicklung: „Die Auszahlungen für Baumaßnahmen schöpften mit 119,24 Mio. Euro die Planansätze nur etwa zur Hälfte aus, zudem standen hier noch zusätzlich Budgetüberträge in Höhe von 395,05 Mio Euro zur Verfügung, sodass der fortgeschriebene Ansatz nur zu rund 19 % ausgeschöpft wurde.“ 

Die Folge: Die Budgetüberträge aus den Vorjahren übersteigen inzwischen die Höhe der ursprünglichen Ausgabenansätze: „Da erfahrungsgemäß die Umsetzung des Investitionsprogramms hinter den Planungen zurückbleibt, wird erwartet, dass die tatsächlichen Kreditaufnahmen die Veranschlagungen nicht erreichen und übertragene Reste nur zum Teil in Anspruch genommen werden.“ (Jahresabschluss 2016)
So trägt die Verzögerung von Projekten auch noch zur „Entspannung“ der Haushaltslage bei. Trotz des „Aktionsplans“ weist der städtische Haushalt in den Jahren 2014, 2015 und 2016 Überschüsse in Höhe von 159 Millionen, 176 Millionen und 114 Millionen Euro aus.

GEW warnt vor neuer ÖPP-Offensive

Die neoliberale Maxime „Privat vor Staat“ war von der CDU-FDP-Koalition in Hessen von 2009 bis 2013 zum Regierungsprogramm erhoben worden. Die GEW sieht bis heute einen direkten Zusammenhang zwischen der restriktiven Personalpolitik hessischer Kommunen und dem aktuellen Plan der Bundesregierung zur Einführung von ÖPP-Projekten bei Fernstraßen und bei der Schulsanierung. In Frankfurt wurde die Zahl der städtischen Planstellen von 2006 bis 2009 um 17 % heruntergefahren. Inzwischen wurde dieser Kurs revidiert und das alte Stellenniveau wieder zu 92 % erreicht. Aber selbst die vollständige Wiederherstellung der alten Planstellenzahl würde für die schnell wachsende Stadt nicht reichen.

Bei seiner Verabschiedung in den Ruhestand im September 2017 kritisierte der scheidende Leiter des Hochbauamts Hans-Jürgen Pritzl, das Hochbauamt verfüge in Folge der städtischen Sparpolitik über zu wenig Personal, um seinen wachsenden Aufgaben gerecht werden zu können. Die Stadt habe lange zu wenig Geld für Bauunterhaltung zur Verfügung gestellt und das Thema der verfallenden Schulen viel zu spät erkannt.
Der GEW-Bezirksverband Frankfurt forderte die Stadt immer wieder auf, die Haushaltsmittel auszuweiten, auf teure ÖPP-Projekte zu verzichten und genug Personal einzustellen, um die notwendigen Bau- und Sanierungsmaßnahmen umzusetzen. Die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ geht davon aus, dass für eine Bausumme von 500 Millionen Euro jährlich wenigstens 2.000 Planer zusätzlich benötigt werden (https://www.gemeingut.org).

Für Frankfurt zieht die GEW folgendes Fazit: Der Gesamtbedarf für den Neubau und die Sanierung der Frankfurter Schulen liegt bei rund 1,4 Milliarden Euro, nach Abzug von Drittmitteln bei 1,26 Milliarden. Auch nach Abzug der Projekte bis 2016 verbleiben immer noch 860 Millionen. Nicht einbezogen sind dabei die Projekte aus der jetzt jährlich erfolgenden Fortschreibung der Schulentwicklungspläne sowie die Mittel für die Ausstattung von Fachräumen, für den Ausbau von Ganztagsschulen und für weitere angekündigte Projekte.