Aus der Ukraine nach Hessen

HLZ 2022/6: Politische Bildung

Ende April besuchten über 7.000 aus der Ukraine geflüchtete Schülerinnen und Schüler eine Schule in Hessen. Auch Kitas haben bereits zahlreiche Kinder aufgenommen. Es fliehen jedoch nicht nur Kinder und Jugendliche vor dem russischen Angriffskrieg, sondern auch Erwachsene. Viele verfügen über eine abgeschlossene Berufsqualifikation, auch in pädagogischen Berufen. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) forderte bereits Anfang März, dass ukrainische Lehrkräfte an deutschen Schulen eingesetzt werden sollen. Auch die hessische Landesregierung folgt dieser Linie und wirbt aktiv um sie. Diese an sich erfreuliche Offenheit wird allerdings dadurch getrübt, dass sie wohl auch dem herrschenden Lehrkräftemangel geschuldet sein dürfte. Das gilt für Erzieherinnen und Erzieher ebenso.

Aktionsplan der Landesregierung

Es sprechen gute Gründe für die Beschäftigung von migrierten Pädagoginnen und Pädagogen. Zu allererst ist es für sie von Vorteil, im erlernten Beruf tätig werden zu können. Dabei geht es nicht nur um die Chance, den Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern auch um die professionelle Weiterentwicklung. Die Bildungseinrichtungen können von mehr Diversität seitens des Personals im Sinne der interkulturellen Pädagogik profitieren. Die Landesregierung kündigt in ihrem Aktionsplan vom 3. Mai 2022 unter anderem an, dass die Schulen ergänzenden Unterricht in ukrainischer Sprache zur Sprach- und Kulturvermittlung im Umfang von vier Wochenstunden anbieten können. Das gilt allerdings nur „im Rahmen der personellen, sächlichen und fachspezifischen Möglichkeiten der Schule“. (1) Dieses Angebot kann in größerem Umfang nur angeboten werden, wenn dafür genügend Lehrkräfte aus der Ukraine gewonnen werden.

Bereits vor dem Krieg sind zahlreiche Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland migriert. Die Ukraine stellte bereits in den Vorjahren, was die formale Anerkennung von Berufsabschlüssen anbelangt, eines der wichtigsten Herkunftsländer dar. Allerdings sind die Hürden im Lehramt bislang sehr hoch, viele Anträge bleiben erfolglos. (2) So zählt das Statistische Bundesamt für das Schuljahr 2020/2021 nicht mehr als 26 Lehrkräfte mit ukrainischer Staatsbürgerschaft an den allgemeinbildenden Schulen in Hessen. An den berufsbildenden Schulen war es eine einzige. Nur bei EU-Staaten besteht ein Rechtsanspruch auf die Prüfung und gegebenenfalls Anerkennung als gleichwertig mit einem deutschen Abschluss, allerdings nimmt Hessen auch Anträge aus Drittstaaten an.

Hürden bei der Anerkennung

Eine Ursache für die geringe Anerkennungsquote von Lehrkräften sind die sprachlichen Anforderungen. Hessen verlangt bei Anerkennungsverfahren von Lehrkräften bereits bei Antragstellung ein Deutsch-Zertifikat auf dem höchsten Niveau C2. Außerdem verlangt Hessen wie die meisten Bundesländer ein zweites Unterrichtsfach.

Nach dem KMK-Portal „anabin“ zu ausländischen Bildungsabschlüssen unterscheidet sich die Lehramtsausbildung in der Ukraine strukturell deutlich von der hiesigen. Es ist daher zu vermuten, dass die für Anerkennungsverfahren zuständige Lehrkräfteakademie in den meisten Fällen keine Gleichwertigkeit bescheinigen wird. Stattdessen wird eine so genannte Ausgleichsmaßnahme auferlegt, in der Regel ein dem Referendariat ähnelnder Anpassungslehrgang. Wohl auch vor diesem Hintergrund setzt die Landesregierung auf die kurzfristige Beschäftigung als Vertretungskraft, die auch ohne Anerkennung möglich ist. In dem Aktionsplan wird eine „breitgefächerte Informationskampagne“ angekündigt:

„Lehrkräfte und sonstiges Personal mit professioneller pädagogischer Erfahrung aus der Ukraine sollen möglichst unbürokratisch und kurzfristig als TV-H-Beschäftigte eingestellt werden, sachgrundlos (kalendermäßig) befristet gemäß § 14 Abs.2 TzBfG mit einer Vertragsdauer von mindestens 6 Monaten, sofern keine Vorbeschäftigung beim Land bestand.“

Das Kultusministerium hat inzwischen ein Onlineformular eingestellt, über das sich Interessierte melden können.

Auch in Kindertageseinrichtungen sollen nach dem Aktionsplan pädagogische Fachkräfte aus der Ukraine arbeiten können. Für das Anerkennungsverfahren ist die Zentralstelle für die Anerkennung ausländischer und inländischer Bildungsnachweise am Schulamt für den Landkreis Darmstadt-Dieburg zuständig. Im „Vorfeld der Anerkennung“ können nach dem Aktionsplan auch „Fachkräfte zur Mitarbeit“ eingesetzt werden, somit unterhalb der vorhandenen Qualifikation. Auch wenn die Erfolgsquote bei anderen Berufen höher ist als beim Lehramt, handelt es sich gleichwohl um ein anspruchsvolles und zeitaufwändiges Verfahren. Beratung und Unterstützung bietet das IQ-Landesnetzwerk Hessen.

Die Personalräte in allen Bildungseinrichtungen sind gefordert, nun darauf zu achten, dass geflüchtete Pädagoginnen und Pädagogen bei der Einstellung korrekt eingruppiert und eingestuft werden. Dabei geht es auch um die Anerkennung von „förderlichen“ Erfahrungszeiten. Die Anerkennung des Berufsabschlusses sollte zumindest mittelfristig gezielt gefördert und unterstützt werden. Die GEW Hessen plant eine Veranstaltung zu diesem Thema für den Herbst 2022.

Roman George


(1) Aktionsplan Solidarität mit der Ukraine - Hessen hilft, S. 15. Wiesbaden, 3. 5. 2022. Download

(2) Roman George (2021): Verschenkte Chancen? Die Anerkennungs- und Beschäftigungspraxis von migrierten Lehrkräften, Frankfurt.