Imagepflege öffnet Türen

Im Gespräch mit Felix Kamella vom Verein LobbyControl

HLZ 3/2016: Lobbyismus an Schulen

LobbyControl (LC) kombiniert aktuelle Recherchen, wissenschaftliche Hintergrundanalysen und Kampagnenarbeit und hat sich seit 2005 als eingetragener Verein mit seinen Aktionen und Veröffentlichungen einen Namen gemacht. Der Verein finanziert sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden, die vollständig offen gelegt werden (www.lobbycontrol.de). Der Lobbyismus in Schulen ist neben TTIP sowie bundes- und europapolitischen Themen einer der aktuellen Arbeitsschwerpunkte von LobbyControl (HLZ S.2). René Scheppler, der das Thema schon länger für die GEW Wiesbaden bearbeitet, sprach für die HLZ mit Felix Kamella (32), der seit 2011 als „Campaigner“ im Kölner Büro von LobbyControl tätig ist.

HLZ: Lobbyismus – da denkt man zuerst an die Einflussnahme auf Gesetze und politische Entscheidungen. Was ist denn dann „Lobbyismus in Schule“?

Felix Kamella: Neben der direkten Lobbyarbeit, die Sie gerade erwähnt haben, gibt es auch eine erweiterte Lobbyarbeit. Im Englischen gibt es dafür den Begriff Deep Lobbying. Bei dieser erweiterten Lobbyarbeit geht es nicht um den direkten Einfluss auf Gesetze, sondern um die Steuerung von Stimmungen und Diskursen in der Bevölkerung, um so indirekt politische Entscheidungen zu beeinflussen. Und in diesen Bereich fällt eben der „Lobbyismus an Schulen“. Dafür wollen wir mit unserer Arbeit sensibilisieren.

Im Hessischen Schulgesetz und den einschlägigen Verordnungen tauchen eher Begriffe wie Spenden, Sponsoring oder Werbung auf. Ist es denn überhaupt noch zeitgemäß, mit diesen Begriffen zu arbeiten?

Eher nicht. Die Aktivitäten an Schulen sind mittlerweile so professionell, dass sie von den Schulgesetzen gar nicht mehr umfassend abgedeckt werden. Wer Lobbyismus an Schulen betreibt, hat sich längst mit den bisherigen Rechtsgrundlagen arrangiert und sorgt dafür, dass er mit diesen Vorgaben nicht in Konflikt gerät. Man muss also wissen, dass sich hinter einer nach außen positiven und neutralen Bildungsförderung eine Imagekampagne für ein Unternehmen verbergen kann. Gerade deswegen fordern wir von der Politik, sich stärker mit dieser Problematik zu beschäftigen.

Wer sind denn die „Lobbyisten“, die in die Schulen drängen?

Die Universität Augsburg hat herausgefunden, dass von den 20 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland 16 direkt oder indirekt an der Erstellung von Unterrichtsmaterial beteiligt sind. Es handelt sich dabei also nicht um Ausnahmen. Leisten können sich diese Form der Einflussnahme besonders finanzstarke Akteure. Daher ist die große Gefahr: Wer nicht über ausreichende Mittel verfügt, dessen Botschaft droht unterzugehen. Ungeregelt können diese Aktivitäten somit zu problematischen Verzerrungen führen. Auch wenn sie die treibende Kraft sind, beschränkt sich Meinungsmache an Schulen nicht auf einzelne Unternehmen. Ein kritischerer Umgang mit außerschulischen Akteuren sollte daher alle unterschiedlichen Akteure einbeziehen.

Was sind die primären Ziele dieser Akteure?

Die meisten Aktivitäten verfolgen mehr als ein einzelnes Ziel. Zuerst geht es um eine gezielte Einflussnahme, um eine bestimmte inhaltliche Sichtweise in die Schule zu tragen. Ganz wichtig ist auch das Ziel, das Image des Akteurs zu verbessern. Wer Bildungsförderung betreibt, will als Akteur mit gesellschaftlicher Verantwortung gesehen werden, um sich so einen leichteren Zugang zur Politik zu erarbeiten. Außerdem können Aktivitäten an Schulen auch gezielt dafür genutzt werden, Kontakte zu regionalen Entscheidungsträgern aufzubauen. Mit kaum einem anderen Thema bekommt man so leicht ein Bild mit dem Bürgermeister in der Lokalzeitung. Und gerade bei der Imageförderung sind die Grenzen zur Werbung fließend. Trotzdem sind Werbung und Lobbyismus nicht dasselbe: Bei der Werbung sind die Schülerinnen und Schüler Ziel der Aktivitäten, denn es geht darum, sie als Kunden anzusprechen. Ziel des Lobbyismus ist letztlich die Politik. Der Kontakt zu den Schulen ist Mittel zum Zweck. Das ist gerade bei der Imageförderung fließend, denn ein besseres Image lässt sich sowohl für einen besseren Zugang zur Politik einsetzen als auch für die Markenbildung.

Immer häufiger wird gefordert, dass sich die Schule zur Gesellschaft öffnen soll. Ist das nicht auch ein Einfallstor für den Lobbyismus in Schulen?

Es geht natürlich nicht darum, dass sich die Schulen abschotten. Der Kontakt nach außen, auch zu Unternehmen, ist wichtig. Gerade bei der „Berufsorientierung“ ist es notwendig, dass Schulen Kontakte mit Unternehmen in ihrer Region aufbauen. Es kommt immer auf das Wie an. Und da beobachten wir, dass Berufsförderung gerne als Türöffner genutzt wird, weil diese gewollt und akzeptiert ist. Wir haben das kürzlich bei RWE beobachtet (HLZ S.2). Das Unternehmen betont bei seinen Schulaktivitäten, es gehe ausschließlich um Berufsförderung, dann muss man doch genau hinschauen, was da noch alles dranhängt. Es geht darum, das eigene Image zu fördern, Kontakt aufzubauen und Türen zu öffnen...

Wie können Lehrerinnen und Lehrer solche Türöffner erkennen?

Türöffner verschleiern die einseitige Botschaft, die sie in die Schule bringen wollen. Zuerst geht es immer um den Nutzen, den die Schule hat, wenn sie eine Kooperation eingeht. Das steht ja auch in allen Richtlinien der Kultusministerien für Sponsoring und Kooperationen mit außerschulischen Partnern: Der schulische Nutzen müsse im Vordergrund stehen. Wir haben auf unserer Homepage ausführlich beschrieben, wie der Lobbyismus an Schulen verschleiert wird (1). Dazu gehört zum Beispiel, dass die Materialien für den Unterricht scheinbar kontrovers aufgemacht sind oder auch positive und unverfängliche Themen aufgreifen.

Können Sie das am Beispiel von RWE konkretisieren?

RWE hat in Nordrhein-Westfalen ein extrem großes Schulprogramm, so dass dort die Schülerinnen und Schüler in ihrer Schullaufbahn mehrmals mit RWE in Berührung kommen können. Zur Einschulung gibt es die berühmt-berüchtigten RWE-Brotdosen. Beim Sportfest hängt im Hintergrund ein großes RWE-Banner. Ältere Schülerinnen und Schüler können am RWE-Energiewettbewerb teilnehmen, es gibt Besichtigungen, Kooperationsvereinbarungen mit Schulen und Unterrichtsmaterial von RWE. Ziel dieser „Schulkommunikation“ ist es, die Unternehmensinteressen und Unternehmensziele zu verbreiten. Diese Instrumentalisierung der Schülerinnen und Schüler erschwert die kritische und auch kontroverse Auseinandersetzung mit dem Thema Braunkohle. Neben der Werbung für die Braunkohle verfolgt RWE aber auch das Ziel, sich über diese Kooperationen mit Schulen ein positives Image zu verschaffen: Ein gutes Image in der Bevölkerung hilft, die Politik leichter zu beeinflussen.

Ist das denn so einfach möglich: Brotdosen mit RWE-Logo, RWE-Banner beim Sportfest?

Mittlerweile nicht mehr. Das Schulministerium hat die Nutzung des RWE-Logos auf diesen Brotdosen nach öffentlicher Kritik untersagt. Und damit hat sich das Problem für das Ministerium erledigt: kein Logo mehr, kein Problem mehr. Aber jeder weiß, von wem die Dosen kommen. Und wenn die Erstklässler diese in die Hand gedrückt bekommen, ist nicht selten ein Vertreter von RWE da, die Schulleitung und häufig auch der Schirmherr in Person des lokalen Bürgermeisters. Es gibt einen Fototermin und am nächsten Tag ist in der Lokalzeitung ein positiver Bericht. Das heißt, es hat sich eigentlich kaum etwas geändert – außer, dass auf den Dosen kein Logo mehr ist. Das zeigt, dass die Politik keinen zeitgemäßen Umgang mit dieser Problematik pflegt und der Kern der Problematik im Ministerium nicht angekommen ist.

Kennen Sie vergleichbare Beispiele aus Hessen?

In Hessen ist uns jüngst eine Schulkooperation zwischen einer Schule in Raunheim und der Fraport AG aufgefallen. Hier wird sichtbar, wie wenig zeitgemäß die Verantwortlichen mit dieser Problematik umgehen. Die Tatsache, dass eine öffentliche Schule intransparente Kooperationsvereinbarungen treffen darf, ist inakzeptabel. Die Kooperationsvereinbarung wurde uns trotz mehrfacher Nachfrage nicht herausgegeben. Ein weiteres Beispiel sind die Schulaktivitäten von Amazon. In Bad Hersfeld veranstaltet das Unternehmen einen Schreibwettbewerb für die Grundschulen der Region. Wenn dann die Sieger des Wettbewerbs ausgezeichnet werden, ist die Lokalpresse dabei und rückt die Spender ins richtige Licht. Kritik an dem Konzern, der wegen schlechter Arbeitsbedingungen und Steuerflucht Schlagzeilen macht, tritt so in den Hintergrund.

Als Gewerkschaft fragen wir nach der Rolle der Lehrerinnen und Lehrer. Liegt es eigentlich allein in der Verantwortung der einzelnen Lehrkraft, diesen Lobbyismus zu erkennen und ihm entgegenzutreten? So stellt das der hessische Kultusminister gern dar…

Wir sehen die grundsätzliche Verantwortung bei der Politik. Sie muss dafür sorgen, dass Lehrkräfte für die Thematik ausreichend sensibilisiert werden. Angehende Lehrerinnen und Lehrer müssen bereits in der Ausbildung aufgeklärt werden. Wir wollen aber nicht warten, bis Unternehmen und die Politik ihre Aktivitäten überdenken oder neue Regelungen schaffen, sondern fordern kritische Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Schülerinnen und Schüler auf, aktiv zu werden. Der beste Umgang mit manipulativen Angeboten ist immer noch, diese zu nutzen, um das Thema „Lobbyismus an Schulen“ im Unterricht zu behandeln. Schulleitungen oder Lehrkräfte können das Problem in Konferenz ansprechen. Schülerinnen, Schüler und Eltern sollten bei fragwürdigen Angeboten die Lehrkräfte oder die Schulleitung ansprechen.

Vielen Dank für das Gespräch.