Kultusministerium öffnet Türen

HLZ 9-10/2016

„Fürs Leben lernen: Der gute alte Grundsatz gilt wieder was an Schulen. Lehrer holen sich Hilfe bei echten Praktikern. Etwa aus der Wirtschaft. Die sind hocherfreut, mit ihren Unterrichtsmaterialien einer so attraktiven Zielgruppe ihre Sicht zu vermitteln. (…) Doch der Unterricht wird dann schnell zur Stunde der Lobbyisten.“

So beginnt ein Beitrag des ZDF-Magazins Frontal 21 am 30. April 2013 über Lobbyismus in Schulen im Allgemeinen und den Wettbewerb SchulBanker des Bankenverbands im Besonderen. Ein Schüler bekundet, er habe durch die Teilnahme an dem Wettbewerb „ein bisschen mehr Respekt vor Banken, weil man mehr Einsicht bekommen hat, was die überhaupt alles machen müssen“. Und ein anderer erklärt in der Sendung: „Wir wissen jetzt sozusagen, wie das ist. Also, ich würde sagen, zum Positiven hin.“

Die Autoren der Sendung Werner Doyé und Ulrich Stoll resümieren: Der Wettbewerb solle „offenbar das
schlechte Image der Banken aufpolieren“ und „die Lobby hat es bis in ihre Klassenzimmer geschafft“. Und jetzt hat die Lobby es auch bis ins Hessische Kultusministerium (HKM) geschafft. Eine Mail des HKM an alle Staatlichen Schulämter, die der HLZ vorliegt, bezieht sich ausdrücklich auf ein Schreiben des Bankenverbands an das Ministerium, der um Unterstützung für das Planspiel SchulBanker bittet. Das HKM komme diesem Wunsch nach und bitte die Schulämter, alle Schulen „in Ihrem Zuständigkeitsbereich über das Planspiel zu informieren“. Es folgt der Link zum Bankenverband und im Anhang dessen Werbeflyer. Ein Wort der kritischen Einordnung findet man nicht – und das trotz aller Debatten über den Lobbyismus in hessischen Schulen und die Rückzieher der Ministeriums.

Die Werbung für den SchulBanker und die Inhalte des Planspiels veranlassten den SPD-Landtagsabgeordneten Christoph Degen inzwischen zu einer erneuten Anfrage an das HKM (1). 

Wenn die „Bitte“ von ganz oben aus dem Ministerium kommt, wird es der einzelnen, womöglich fachfremden Lehrkraft, die sie wiederum von der Schulleitung weitergeleitet bekommt, nicht unbedingt einfacher gemacht, eine kritische, einordnende Haltung einzunehmen. Und dies wäre dringend notwendig, wenn man es mit dem Beutelsbacher Konsens ernst meint.

Wettbewerbe sind einer der beliebtesten „Türöffner“ für schulische Lobbyarbeit. Klare Zeitvorgaben, eindeutige
Aufgabenstellungen und verlockende Gewinne: Was könnte wirkungsvoller sein als ein Wettbewerb, sieht man von der direkten Entsendung eigener „Lehrkräfte“ wie bei den „Geldlehrern“ ab (HLZ 6/2016). Sind es bei
Unterrichtsmaterialien vielleicht nur ein paar kopierte Seiten, so funktioniert ein Wettbewerb nur im Ganzen.
Nimmt man im Wettbewerbszeitraum ganze Stunden heraus, um auch andere Sichtweisen aufs Finanz- und Bankenwesen zu behandeln, verlieren die Schülerinnen und Schüler Zeit im Rahmen der Wettbewerbsarbeit. Fällt das Handeln im Planspiel oder das Ergebnis nicht im Sinne des Verbands aus, werden womöglich die Siegchancen geschmälert.

Natürlich - das soll hier gar nicht abgestritten werden - lernen die Schülerinnen und Schüler im Zuge der Teilnahme am Wettbewerb etwas. Aber eben weitgehend nur das, was auch gewollt und vorgegeben ist - im Sinne des Bankenverbands.

Wer wie Kultusminister Lorz nicht müde wird, die alleinige Verantwortung für die Abwehr von Lobbyisten und
einseitiger Einflussnahme auf Schule und Unterricht auf die einzelne Lehrkraft abzuwälzen, muss sich auch nach
seiner eigenen Verantwortung für eine kritische Einschätzung fragen lassen.

René Scheppler

(1) Anfrage 19/3578