„Was ist daran schlimm?“

Lobbyisten in der Schule

Die SPD-Landtagsfraktion hat gefragt und Kultusminister Alexander Lorz (CDU) hat geantwortet: Wie hält es die Regierung mit dem Lobbyismus in hessischen Schulen? Die Antworten des  Hessischen Kultusministeriums (HKM) auf 25 Fragen und konkrete Beispiele für eine unzulässige Einflussnahme sind bemerkenswert, ebenso die Aussprache in der öffentlichen Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses des Landtags (KPA) am 11. November 2015 (1). Auch „die Wirtschaft“ dürfte dabei einiges gelernt haben, wobei dieser hier verwendete Sammelbegriff der besseren Lesbarkeit geschuldet ist: Gemeint sind alle Firmen und Unternehmen, die sich in schulische Bildung einmischen.

In der Vorbemerkung zu den Antworten auf die Frage des für die SPD federführenden Abgeordneten Christoph Degen verweist das HKM auf den „Sponsoringbericht“ der Landesverwaltung, der der „Herstellung größtmöglicher Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit“ diene. Wo man diesen einsehen könne und ob dieser überhaupt öffentlich sei, wusste der Minister nicht zu berichten. Sicher auch für Lehrerinnen und Lehrer kein hilfreicher Einstieg in die Thematik, zumal „Zuwendungen Dritter, die auf Schulgirokonto oder über Fördervereine vereinnahmt werden“, durch den Bericht gar nicht erfasst werden.

Die hessische Landesregierung hat nirgends transparent dargelegt, welchen Einfluss „die Wirtschaft“ auf Schule und Schülerinnen und Schüler nehmen darf. Auch die vom HKM ins Feld geführte Trennung von Werbung, Sponsoring und Spenden wird von den Lobbyisten permanent unterlaufen.

Wenig Problembewusstsein spricht auch aus der Feststellung des HKM, dass „Spenden ohne Gegenleistung“, mit denen der Spender „in erster Linie der Schule eine Förderung zukommen lassen möchte“ und bei der „eigene Motive, soweit überhaupt vorhanden, (…) im Hintergrund“ stehen, „nicht anzeigepflichtig“ sind. Nachdem die Top-Down-Strategie, ein Unterrichtsfach „Wirtschaft“ einzuführen, auf das die Lobbygruppen direkt Einfluss nehmen können, zunächst gescheitert scheint, verlegt man sich auf die beim Entrepreneur Summit 2012 vorgestellten „Grass-Root-Initiativen“, die sich an der Schulaufsicht vorbei direkt an die einzelne Schule wenden.

Einer Kontrolle unterliegen ausschließlich die zugelassenen Schulbücher. Doch was ist mit den anderen „Lernmaterialien“, von denen das HKM spricht? Die Schwemme an kostenfreien Unterrichtsmaterialien wird von der Landesregierung ignoriert: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.

Die Folge: Die Überlastung der Lehrkräfte, der Mangel an aktuellen Schulbüchern, fachfremder Unterricht, verlockende Preise bei Wettbewerben sowie uneindeutige Begrifflichkeiten und Zuständigkeiten im HKM öffnen den Lobbyisten Tür und Tor. Wissenschaftliche Studien über die negativen Folgen helfen wenig.

Der Verein LobbyControl hat kürzlich in einer Aktionswoche das sogenannte „Deep Lobbying“ unter die Lupe genommen, das nicht nur zu Gunsten eines einzelnen Unternehmens wirken, sondern den gesellschaftlichen Mentalitätswandel fördern soll. Und was meint das HKM dazu? Die Lehrkraft müsse „in jedem Einzelfall“ prüfen, „ob es sich bereits um eine Einflussnahme auf Schülerinnen und Schüler“ handelt. Einen transparenten Katalog von Prüfmerkmalen gibt es im HKM nicht.

Von konkreten Problemen wollte der Minister auch im Ausschuss nichts wissen. Dem wollen wir mit einem Schwerpunkt in der nächsten Ausgabe der HLZ abhelfen. Zum Beispiel mit einem Bericht über das Network For Teaching Entrepreneurship Deutschland, dessen Material sogar vom HKM kritisch bewertet wurde. Doch bei der einzelnen Lehrkraft kommt von dieser negativen Bewertung nichts an, die Verantwortung bleibt beim Lehrenden. Mit dem Lob der Lehrkräfte, die in der Lage seien, einseitige Ansinnen zu erkennen und dann entsprechend auszusortieren, entledigt sich das HKM seiner eigenen Verantwortung.

Ausgerechnet an der Stelle der Aussprache im KPA, als es um konkrete Beispiele lobbyistischer Aktivitäten in hessischen Schulen ging, war der Zwischenruf „Und was ist so schlimm daran?“ zu vernehmen, den Minister Lorz sogleich aufgriff: Der CDU-Kollege stelle aus seiner Sicht „die richtige Frage“. Kritikfähigkeit und Distanz zu Lobbygruppen sehen anders aus. Das Kultusministerium signalisiert so, dass wirtschaftliche Einflussnahme nicht nur erwünscht ist, sondern womöglich notwendig, da man anders nicht mehr in der Lage zu sein scheint, die aktuellen bildungspolitischen Herausforderungen zu bewältigen.

René Scheppler, GEW-Kreisverband Wiesbaden

Ausschussvorlage KPA 19/21 vom 10. September 2015