Inhaltliche Beschäftigung mit der NS-Pädagogik

Muss fester Bestandteil des Lehramts-Studiums sein

Pressemitteilung 13. Juli 2015

„Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Bildung überhaupt, die insbesondere in der Bildung und Ausbildung künftiger Pädagoginnen und Pädagogen sowie Lehrerinnen und Lehrer ihren festen Platz im erziehungswissenschaftlichen Studium haben soll“, erklärte der Vorsitzende der GEW-Hessen, Jochen Nagel.

Da dies keinesfalls allgemein anerkannt ist, wurde in den Jahren 2011-2013 in einem Pilotprojekt (drittmittelfinanziert von der Hans-Böckler-Stiftung) an der Goethe-Universität im Kontext einer sozial empirischen Studie über Wissen und Zugänge zur NS-Zeit bei Lehramtsstudierenden und Pädagogik-Studierenden eine gut begründete Konzeption für eine zweisemestrige Behandlung der NS-Zeit mit ihren Verbrechen, ihrer Ideologie und ihrer Pädagogik mit Vorlesungen und Seminaren entwickelt und seitdem dreimal komplett durchgeführt und evaluiert.

Die Bemühungen, dieses Thema nicht prekär, sondern fest an der Goethe-Universität zu verankern und damit auch auf die universitäre Bildung von zukünftigen Pädagoginnen und Pädagogen an anderen Universitäten einzuwirken, konnte aufgrund von Widerständen im Fachbereich Erziehungswissenschaften leider bisher nicht realisiert werden. Interessant dabei ist, dass die Einrichtung der Forschungsstelle NS-Pädagogik, die Lehre und Forschung miteinander verbindet, zwar nachdrücklich vom Präsidium der Goethe-Universität auch finanziell unterstützt wurde und wird, dass dagegen gerade der Fachbereich Erziehungswissenschaften die gesamte Arbeit nicht mehr mitfinanziert, sondern grotesker Weise mit strukturellen Maßnahmen direkt behindert.

Mit Empörung beobachtet die GEW Hessen, wie systematisch der entscheidenden inhaltlichen Frage aus dem Weg gegangen wird, um die Sache stattdessen so darzustellen, als würde es sich um persönliche Konflikte handeln.

Die entscheidende Frage ist, ob die Beschäftigung mit der NS-Zeit, ihren Verbrechen, ihrer Ideologie und ihrer Pädagogik ein grundlegendes Thema im Studiengang Erziehungswissenschaft und im Studiengang für zukünftige Lehrerinnen und Lehrer sein muss, oder ob es sich um eine untergeordnete Spezialfrage handelt.

Diese Frage müsste eigentlich inhaltlich geklärt werden. Stattdessen werden uns gut bekannte Herrschaftstechniken bemüht:

  • Prekär: Hartnäckig wird der prekäre Charakter der Forschungsstelle NS-Pädagogik aufrechterhalten, und die Einrichtung einer seit 2011 geforderten langfristigen, also festen Stelle, wird mit einer Fülle von vorgeschobenen, teilweise falschen Behauptungen verhindert.
  • Streichung der Finanzen: Seit dem Weggang von Micha Brumlik 2013 wurden alle Zuwendungen finanzieller Art für Lehre und Forschung für das Pilotprojekt der Forschungsstelle NS-Pädagogik im Rahmen des Fachbereichs 04 restlos gestrichen. (Erfreulich zunächst: Das Präsidium ist hier eingesprungen, so dass bis Mai 2016 noch wissenschaftliche MitarbeiterInnen beschäftigt werden können, dann nicht mehr.)
  •  Steuerung I Lehramt: In Absprache mit der federführenden Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung (ABL) erhalten die Lehramtsstudierenden seit 2014/2015 keine Kreditpunkte mehr für die gut eingeführte und aktuell auch angebotene Vorlesung über die NS-Zeit.
  •  Steuerung II  Bachelor/Master: In den im Juni 2015 vom Fachbereichsrat neu beschlossenen Modulen für das Studium der Erziehungswissenschaften wurde der Anteil für Geschichte und Theorie genau um die Hälfte gekürzt: sowohl für die Vorlesung als auch für die Seminare können Studierende nur noch die Hälfte der Kreditpunkte erhalten. Damit wird auch die seit 2009 als Pilotprojekt konzipierte zweisemestrige „Vorlesung zur NS-Zeit: Verbrechen-Ideologie-Pädagogik“ faktisch als Konzeption administrativ als Gesamtkonzept verhindert. 

Kollege Benjamin Ortmeyer hat gerade im letzten Jahr durch eine Reihe von Veranstaltungen zur NS-Zeit an der Goethe-Universität, zum Massenmörder Josef Mengele (promoviert an der Goethe-Universität) und zum judenfeindlichen Hetzer Ernst Krieck ( Rektor der Goethe-Universität 1933), sowie durch seinen Kampf im Senat für die Namensgebung „Norbert-Wollheim-Platz“ und mit großen Veranstaltungen mit der Auschwitz-Überlebenden Trude Simonsohn für Studierende und die Öffentlichkeit eine große Aufklärungsarbeit an der Goethe-Universität geleistet. 

Die GEW betont auch, dass er  in der Forschung selbst den Mythos einer Reihe bekannter bundesrepublikanischer  Erziehungswissenschaftler wie des Judenfeindes und Rassisten  Peter Petersen demontiert hat, so dass bundesweit eine Reihe von Schulen nun endlich nicht mehr Peter-Petersen-Schulen heißen.

„Es ist keine Frage, dass die GEW Hessen auch gegen die sich anbahnenden persönlichen Angriffe, Herabsetzungen und Beleidigungen mit ihrem langjährigen Mitglied Benjamin Ortmeyer, der auch für die GEW als Senator in den  Senat der Goethe-Universität gewählt wurde, solidarisch ist“, so Jochen Nagel weiter.

Im Senat wurde erfreulicher Weise als Leitbild verabschiedet:

„Die Goethe-Universität … wendet sich gegen Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus. Sie ist ein Ort argumentativer Auseinandersetzung; Forschung und Lehre stehen in gesellschaftlicher Verantwortung.“ (Leitbild der Goethe-Universität, Senatsbeschluss vom  8. Oktober 2015)

„Es ist zu wünschen, dass die ABL und der Fachbereich Erziehungswissenschaften dieses Leitbild ernst nehmen und dafür Sorge tragen, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit fester Bestandteil des Lehramtsstudiums ist“, so Jochen Nagel abschließend.