Januar 2021: Wie geht es an den Schulen weiter?

Wechselunterricht, kleine Gruppen, statt Schulschließungen!

Wo bleibt der von uns vorgeschlagene Plan B des Kultusministers?

In der ersten Januarwoche zeichnet sich bereits deutlich ab, dass sich das Infektionsgeschehen seit der Verhängung des „harten Lockdowns“ am 16. Dezember bei weitem nicht gut genug entwickelt hat, als dass man bereits über Lockerungen sprechen könnte. Umso drängender stellt sich die Frage, wie es an den Schulen weitergehen soll. Die Versäumnisse des Kultusministers und der gesamten Landesregierung, rechtzeitig einen – von der GEW immer wieder angemahnten – „Plan B“ zu entwickeln, werden nun allzu deutlich. Die Vorsitzenden der GEW Hessen, Birgit Koch und Maike Wiedwald, nehmen gegenüber der Frankfurter Rundschau Stellung zu den aktuell in diesem Zusammenhang diskutierten Fragen. Wir veröffentlichen hier das Interview in ungekürzter Fassung.

Ist Präsenzunterricht unter den gegebenen Bedingungen sinnvoll? Ist er überhaupt möglich? Falls ja, was ist dafür zu tun?

Es ist für alle Kinder und Jugendlichen sehr wichtig, gemeinsam mit anderen in der Schule zu lernen und Schule als sozialen Lernort zu erfahren. Dabei müssen aber das Recht auf Bildung, das Recht auf Gesundheit für alle an Schule Beteiligten und die Erfordernisse der Eindämmung der Pandemie berücksichtigt werden. Dass Schulen bei der Verbreitung des Virus keine Rolle spielen würden, wurde vielfältig widerlegt – nicht zuletzt durch die zunächst nicht offen gelegten Ereignisse an einer Hamburger Schule. An den Gefahren für Schülerinnen und Schüler und ihre Familien und für das pädagogische Personal besteht kein Zweifel. Für alle Bereiche des öffentlichen Lebens ist das Abstandhalten oberste Prämisse zur Eindämmung der Infektionszahlen. Dies muss dann aber auch für die Schulen gelten. Bei viel zu kleinen Räumen und sehr großen Lerngruppen ist ein Abstandhalten in der Schule nur möglich, wenn Lerngruppen geteilt werden und im Wechsel von Präsenz und Lernen zu Hause Unterricht organisiert wird. Der Wechselunterricht ist aber auf jeden Fall der vollständigen Schließung der Schulen vorzuziehen.

Ist Homeschooling eine Alternative? Würde das besser funktionieren als beim ersten Lockdown?

An allen Schulen, die im Wechselmodell arbeiten, erhalten die Schülerinnen und Schüler im Präsenzunterricht Aufgaben und Arbeitsaufträge für die Tage oder die Woche, in der sie nicht im Unterricht sind. Anders als im ersten Lockdown können diese Aufgaben im Präsenzunterricht erläutert und nachbereitet werden. Das ist auch wichtig, denn die Schülerinnen und Schüler sollen nicht allein gelassen werden, Fragen formulieren können und gut unterstützt werden. Wenn es die technischen Möglichkeiten zulassen, können Videokonferenzen zum Beispiel über das Schulportal Hessen durchgeführt werden. Viele Kolleginnen und Kollegen haben engagiert digitale und analoge Formen des Unterrichts im Wechsel von Präsenz und Distanz gefunden, ausprobiert und evaluiert.

So kann es gehen: Beispiele zum Wechselmodell für den Unterricht 

Wir bekommen aus Schulen, die das Wechselmodell zum Teil seit Anfang November praktizieren, von allen Beteiligten positive Rückmeldungen. Leider hat das hessische Kultusministerium hier bisher viel zu wenig unterstützt. Und auch die digitale Ausstattung der Schülerinnen und Schüler und der Kolleginnen und Kollegen ist immer noch alles andere als gut. Es sind noch längst nicht alle Schülerinnen und Schüler, die auf ein Gerät zum Lernen für Zuhause angewiesen sind, mit einem ausgestattet und auch die digitalen Endgeräte für die Lehrkräfte sind frühestens für das Frühjahr angekündigt.

Für welche SuS-Gruppen ist Präsenzunterricht ggf. denkbar, für welche scheint Homeschooling akzeptabel?

Für alle Schülerinnen und Schüler sind soziale Lernprozesse in Gruppen wichtig – egal welchen familiären Hintergrund sie haben und welche Unterstützungsmöglichkeiten das Elternhaus bietet. Trotz des großen Engagements der Lehrkräfte zeigen aber die letzten Monate, dass lernschwache Schülerinnen und Schüler sowie Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf bei Veränderungen in der Unterrichtsorganisation – besonders beim reinen Distanzunterricht und bei digitalen Darstellungsformen – oft überfordert werden. Damit kein Kind zurück bleibt, müssen in Abhängigkeit von der dynamischen Entwicklung der Pandemie individuelle Lösungen gefunden werden. Hierfür bedarf es aber einer besseren personellen Ausstattung der Schulen. Die im hessischen Sondervermögen von 150 Millionen Euro eingestellten Mittel für weiteres Personal müssen jetzt an die Schulen gegeben werden. Das würde kleinere Gruppen und zusätzliche Förderangebote möglich machen. Außerdem wäre dann mehr Zeit da, um Gespräche mit Schülerinnen und Schüler zu führen, wie sie die Pandemie erleben, was sie beschäftigt, belastet und welche Sorgen und Nöte sie haben.

Sollte die Ferienzeiten verändert/verlängert werden?

Nein.

Sollten die Anforderungen für das Abitur und die anderen Schulabschlüsse gesenkt werden? Warum oder warum nicht?

Es geht nicht darum, Anforderungen abzusenken, sondern Prüfungsformen und Prüfungsinhalte an die Situation einer Pandemie anzupassen. Für das Abitur müssen curriculare Vorgaben modifiziert und die Aufgabenstellungen für 2021 überarbeitet werden. Die Schulen und die Schülerinnen und Schüler müssen mehr Möglichkeiten haben, zwischen den Prüfungsvorschlägen auszuwählen, und die Korrigierenden brauchen größere Spielräume bei der Bewertung. So kann auf die besondere Situation einzelner Schulen, einzelner Jahrgänge oder auch in einzelnen Fächern eingegangen werden. 

Im Bereich der Haupt- und Realschulabschlussprüfungen sollte auf die zentralen schriftlichen Prüfungen gänzlich verzichtet werden. Der Abschluss sollte stattdessen ausnahmsweise ausschließlich auf der Grundlage der erzielten Zeugnisnoten sowie der bereits abgelegten Projekt- und Präsentationsprüfungen vergeben werden. Im Mittelpunkt des schulischen Geschehens in den Abschlussklassen sollte vor allem auch die Lebenswelt- und Berufsorientierung stehen, denn die Schülerinnen und Schüler brauchen eine Perspektive, wie es für sie nach der Schule weitergehen kann. Gerade in Anbetracht steigender Jugendarbeitslosigkeit ist das zentral.

Bild: unsplash.com, alyysa_ledesma