Nichts geht ohne sie!

Viele Lehrbeauftragte an Hochschulen werden prekär beschäftigt

HLZ 12/2022 - 1/2023: Arbeitsplatz Hochschule

„Zur Ergänzung des Lehrangebots können Lehraufträge erteilt werden.“ So steht es in § 71 des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG). Die Idee ist, dass für ein Honorar berufliche Expertise in die Hochschullehre eingebunden wird. Architekten, Apotheker und andere Fachpraktiker:innen sollen ihr Wissen an Studierende weitergeben. Je nach Fach und Hochschule hat sich der Einsatz von Lehrbeauftragten sehr unterschiedlich entwickelt, nicht immer zum Vorteil von Studierenden und Lehrenden. So legen die Ergebnisse einer Kleinen Landtagsanfrage der SPD und die Beobachtungen der GEW Hessen nahe, dass mit dem Einsatz von Lehrbeauftragten Geld gespart wird und Menschen ihren Unterhalt zu Nettoentgelten weit unter dem Mindestlohn bestreiten. Zusätzlich gibt es die „Titellehre“: Um den Titel Privatdozent:in (PD) führen zu dürfen, muss unentgeltlich gelehrt werden - für die GEW eine Praxis, die beendet werden muss.
 

Außerdem warnt die GEW Hessen seit Jahren davor, dass auch Promovierende sich in Einzelfällen mit Lehraufträgen finanzieren müssen. Gespart wird an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Da die Hochschulen im Festlegen der Stundensätze frei sind, schwankt das Honorar zwischen 25 Euro (am häufigsten) und 55 Euro je real gehaltene Stunde. Bis auf Ausnahmen wird die Vor- und Nachbereitung der Veranstaltungen nicht zusätzlich vergütet. Bei bis zu 60 Studierenden je Seminar berichten viele Lehrbeauftragte, dass keine Zeit ist für individuelle Benotungen, Rückmeldungen, Sprechstunden oder Prüfungen. Und wenn dann nur zum Preis des Nettolohnverlustes und immer unter Zeitdruck zuungunsten der Studierenden! Als Selbstständige an Hochschulen müssen sie sich selbst krankenversichern, es gibt keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und es muss Einkommenssteuer abgeführt werden. An mehreren Hochschulen müssen Kopierkosten selbst getragen werden. Ihr Honorar bekommen sie erst am Ende der Vorlesungszeit, gearbeitet wird erst einmal vier Monate in Erwartung einer Bezahlung. Am Ende bleiben rechnerisch oft 10 Euro oder weniger pro Stunde übrig. Viele Lehrbeauftragte bringen zwar eine sehr hohe intrinsische Motivation für die Lehre mit, jedoch besteht unter den gegenwärtigen Bedingungen die Gefahr von Qualitätsverlusten für das Studium.
 

Die letzten umfangreicheren Erhöhungen der Sätze für Lehrbeauftragte stammen aus dem Jahr 2008: Hier sieht die GEW Hessen, nicht nur vor dem Hintergrund der Inflation, dringenden Handlungsbedarf. Immerhin wurden an fast allen Hochschulen in den letzten zwei Jahren wohnortabhängige Fahrtkostenpauschalen eingeführt.
 

Besonders pikant sind einige Antworten auf eine Landtagsanfrage der SPD aus diesem Sommer: Keineswegs sind Lehraufträge nur Ergänzungen, sondern die Lehre wäre ohne die günstigen Selbstständigen nicht durchzuführen. So ergeben sich Spitzenwerte bei einzelnen Hochschulen wie der Frankfurt University of Applied Sciences, bei der insgesamt 42 % der Lehre – im Fachbereich Soziale Arbeit nach Angaben der GEW sogar bis zu 75 % – von Lehrbeauftragten bestritten werden. Der Verweis der Hochschulleitung darauf, „besonders praxisnah“ auszubilden, hält bei näherer Betrachtung, gerade im Vergleich zu anderen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften wie der Hochschule Darmstadt, nicht stand. Dort werden immerhin „nur“ 25 % der Lehre von Lehrbeauftragten erbracht. Aber auch beim curricularen Stellenwert der Lehre wird die Landtagsauskunft deutlich. Beispielhaft gehören 96 % der Lehraufträge an der Technischen Hochschule Mittelhessen, 90,3 % an der Hochschule Rhein-Main und 99 % an der Hochschule Fulda zum Pflichtprogramm und sind keine reine Ergänzung. An den Universitäten liegen die Werte teils deutlich darunter, aber auch hier sind je nach Fach viele Lehrbeauftragte fest in das grundständige Studium eingeplant. In der Corona-Pandemie wurden sehr viele Lehrbeauftragte nicht mehr angefragt, mittlerweile hat mit fast 5.000 Lehrbeauftragten in Hessen ihre Zahl wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht.
 

Die GEW Hessen befürchtet, dass unter dem hohen Kostendruck wieder vermehrt Lehraufträge eingesetzt werden. Im Kodex für gute Arbeit haben sich die Hochschulen unter anderem dazu verpflichtet, Vor- und Nachbereitungszeiten zu vergüten und die Stundensätze „in Anlehnung an die Stundensätze für wissenschaftlich Beschäftigte“ zu regeln. Dies hieße im Falle von einer Stunde analog zum tariflichen Lohn 104,23 Euro brutto. Aus Sicht der GEW Hessen sollten sich die Hochschulen schrittweise in diese Richtung bewegen. Dabei geht die Hochschule für Gestaltung in Offenbach mit gutem Beispiel voran, wo die Hochschulleitung die Stundensätze jüngst auf 50 bis 60 Euro verdoppelte. In der Vergangenheit sorgte vor allem der Druck von Initiativen aus Lehrbeauftragten für Verbesserungen. Die GEW Hessen steht bereit, erneute Anläufe dieser Art mit Nachdruck zu unterstützen.
 

Tobias Cepok, Hochschulreferent der GEW Hessen


Die Anfragen der SPD-Abgeordneten Dr. Daniela Sommer und die Antworten des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 12.7.2022 findet man im Landtagsinformationssystem in den Landtagsdrucksachen 20/8438 und 20/8439  und unter den Kurzlinks https://bit.ly/3DN2Q5I und https://bit.ly/3zzMpXI.