Wir müssen (mehr) reden!

Macht und Machtmissbrauch in Hochschule und Wissenschaft

HLZ 12/2022 - 1/2023: Arbeitsplatz Hochschule

Bei der 11. Wissenschaftskonferenz der GEW, die vom 21. bis 24. September in Dresden stattfand, wurde der Gesetzentwurf für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz vorgestellt, in dem Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindestvertragslaufzeiten und sichere berufliche Perspektiven für Wissenschaftler*innen jenseits der Professur gefordert werden (HLZ S.3). In nahezu jedem Programmpunkt der Konferenz wurde die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Reformierung des Beschäftigungssystems in Hochschule und Wissenschaft deutlich.
 

Prekarität und ungewisse Zukunftsperspektiven gehen einher mit starken Abhängigkeiten und großen Hierarchiegefällen, wodurch Machtmissbrauch und Diskriminierung Tür und Tor geöffnet wird. Die Referent*innen und Teilnehmenden der Wissenschaftskonferenz machten deren vielfältige Ausprägungen sichtbar und hoben sie aus dem Verborgenen: Das (öffentliche) Benennen von Machtmissbrauch und Diskriminierung ist ein mutiger und wichtiger Schritt. Jedoch blieb es nicht dabei: Ebenso wurde darüber gesprochen und diskutiert, was getan werden muss, um Hochschulen zu inklusiven und demokratischen Räumen des Lernens, Lehrens und Forschens zu machen.
 

Wissenschaftskonferenz der GEW in Dresden

Die britische Soziologin Sara Ahmed schreibt in „Living a Feminist Life“ (2017; deutsch: „Feministisch leben!“), dass Personen, die Missbrauch und Diskriminierung erfahren und dies ansprechen, häufig „zum Problem gemacht werden“. Statt sich mit dem stattgefundenen Missbrauch oder der Diskriminierungserfahrung zu befassen, wird die betroffene Person dafür gemaßregelt, dass sie das Schweigen durchbrochen hat und das Verhalten (meist) machtvollerer Personen kritisiert.
 

Die Hürden, solche Erfahrungen in Hochschulen und Forschungseinrichtungen anzusprechen, sind hoch. Enge personelle Abhängigkeiten und ein hohes Maß an Prekarität befördern Machtmissbrauch und Diskriminierung und sorgen zugleich dafür, dass diese meist im Verborgenen bleiben oder nur hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen wird.
 

Bisher gibt es nur wenige Räume, die ein Benennen und einen Austausch erlauben, doch allmählich werden es mehr. Den Anfang im Wissenschaftsfeld machte die Frauen- und Gleichstellungspolitik in den 1970ern und 1980ern, die ein Sprechen über Sexismus und sexualisierte Gewalt ermöglichte. Es folgten queere und rassismuskritische Orte und in den letzten zehn Jahren wurden Stellen für Antidiskriminierungsberatung auf- und ausgebaut.
 

Gleichzeitig werden Diskussionen zu guter wissenschaftlicher Praxis geführt und Ombudspersonen eingesetzt, um gegen Machtmissbrauch, Betrug und Korruption in Forschungsprozessen vorzugehen. Personelle Abhängigkeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen sind seit Jahrzehnten Gegenstand der Personalratsarbeit an Hochschulen.
 

Allerdings wird auf (und jenseits) der Konferenz immer wieder deutlich, dass nicht alle voneinander wissen und nicht alle unmittelbar die thematischen Überschneidungen und Bündnismöglichkeiten sehen. Wir müssen mehr mit­einander sprechen und wir müssen unsere Kräfte gemeinsam bündeln, denn auch wenn wir alles Engagement zusammennehmen, bleiben wir in einer marginalen Position. Wir müssen noch mehr mit Kolleg*innen und Studierenden in den Institutionen darüber ins Gespräch kommen, was Diskriminierung und Machtmissbrauch umfasst, wie wir uns dagegen wehren können und welche Unterstützungsstrukturen bereits vorhanden sind.
 

Machtmissbrauch und Diskriminierung

Machtmissbrauch findet meist im Rahmen hierarchischer Beziehungen statt, die durch ein hohes Maß an Abhängigkeit geprägt sind. Wir sprechen immer dann von Diskriminierung, wenn der Zugang zu Ressourcen und Positionen und gesellschaftspolitische Teilhabe aufgrund sozialer Dimensionen wie Geschlecht und Sexualität, Rassifizierung, soziale Herkunft und Klasse, Religion, Behinderung und Alter eingeschränkt oder verwehrt werden. Machtmissbrauch und Diskriminierungen können miteinander einhergehen und sich gegenseitig verstärken.
 

Referent*innen und Teilnehmende der Wissenschaftskonferenz zeigten anhand konkreter Beispiele auf, wie sich Machtmissbrauch und Diskriminierung in unterschiedlichen Verhaltensweisen manifestieren. Dabei wurden unter anderem folgende Formen des Machtmissbrauchs genannt:

  • Verwischen von persönlichen und beruflichen Grenzen
  • Ausbeutung von Mitarbeitenden durch unbezahlte Mehrarbeit oder Arbeit am Wochenende
  • Aneignung der wissenschaftlichen Arbeit von abhängig Beschäftigten
  • Verschleppen von Anträgen oder Gutachten, wodurch akademische Karrieren „ausgebremst“ werden
  • abhängig Beschäftigte mit anstehenden Vertragsverlängerungen unter Druck setzen und nötigen
  • Auch Demütigung, Mobbing, sexualisierte Gewalt, Drohungen bei widerständigem Verhalten, Fälschung von Daten und Forschungsergebnissen und Korruption sind Ausdrucksformen von Machtmissbrauch im Wissenschaftsbetrieb.
  • Diskriminierende Handlungen lassen sich auch am Beispiel von Alltagssexismus in der Wissenschaft veranschaulichen:
  • keine Reaktion auf Wortbeiträge und bzw. oder Wiederholung des Gesagten als einem „eigenen“ Argument
  • „erklärendes“ Ko-Referat bei einem Vortrag, das sogenannte mansplaining
  • Wissenschaftlerinnen, die auf Veranstaltungen oder bei Meetings als dienstleistendes Personal behandelt werden
  • Beurteilung der Kleidung, des Aussehens oder der Stimme der Vortragenden
  • sexistische Witze, Bemerkungen und „Storys“ bei Tagungen, im Büro oder in der Mittagspause
  • Konferenzen und Panels, die nur mit männlichen Wissenschaftlern oder Experten besetzt werden
  • weniger Förderung bei Vernetzung und Publikationen
  • Nicht-Zitieren der Forschungsarbeiten von Wissenschaftlerinnen
  • Relativierung, wenn von Diskriminierungserfahrungen berichtet wird

Machtmissbrauch und Diskriminierung haben weitreichende Auswirkungen für die Betroffenen. Die Bewältigung solcher Erfahrungen kostet Zeit und viel Kraft, wodurch sich die Benachteiligung noch verstärkt. Im worst case wird der Wissenschaftsberuf aufgegeben.
 

Solidarisches Handeln

Um gegen Machtmissbrauch und Diskriminierung vorzugehen, braucht es strukturelle Veränderungen, wie sie im Dresdner Gesetzentwurf geschrieben stehen. Durch eine Veränderung des Beschäftigungsmodells und eine Abschaffung bzw. deutliche Einschränkung des Sonderbefristungsrechts für die Wissenschaft können Abhängigkeitsverhältnisse nachhaltig abgebaut und eine demokratische Personalstruktur aufgebaut werden. Gleichzeitig bedarf es eines Wandels der Hochschul- und Wissenschaftskultur, weg von Hierarchien und unproduktivem Wettbewerb hin zu Wertschätzung, Anerkennung und Kooperation und zu mehr Qualität statt Quantität. Hierzu gehören auch transparente und sanktionsfähige Regelungen zu Machtmissbrauch und Diskriminierung in den Institutionen, die von einer niedrigschwelligen Beratungsstruktur flankiert sind. Allerdings genügt es nicht, auf strukturelle Veränderungen zu warten. Wir müssen für sie kämpfen und wir müssen sie machen. Für den Hochschul- und Wissenschaftsalltag wurden auf der Wissenschaftskonferenz verschiedene Handlungsoptionen benannt:
 

  • den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen mit dem Kampf gegen Machtmissbrauch und Diskriminierungen (und vice versa) zusammendenken und zusammenführen
  • Solidarisierung mit Betroffenen und nicht Wegschauen
  • Zuhören und Verstehen, insbesondere bei Diskriminierungen, mit denen man nicht vertraut ist
  • mit Kolleg*innen über Beschäftigungsbedingungen und Machtmissbrauch in Hochschule und Wissenschaft und über Möglichkeiten der Intervention sprechen
  • Studierende im Rahmen der Lehre informieren und einbeziehen
  • einen eigenen Beitrag dazu leisten, eine Kultur der Anerkennung und Wertschätzung in Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu etablieren
  • Öffentlichkeit herstellen und den Kontakt mit politischen Vertreter*innen suchen, um Gegen-Narrative zu schaffen
     

Solidarisches und widerständiges Handeln ist keine einmalige Aktion, sondern ein dauerhaftes Engagement mit einer guten Portion Fehlerfreundlichkeit für das eigene Denken und Handeln und für das Denken und Handeln der anderen.
 

Daniela Heitzmann


Die Autorin ist Soziologin und befasst sich seit vielen Jahren auf wissenschaftlicher und hochschulpolitischer Ebene mit Geschlechterungleichheiten und Diskriminierung in Hochschule und Wissenschaft. Seit Juni 2022 ist sie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main tätig und in der GEW-Betriebsgruppe aktiv.