Gespräch mit Beate Kemfert

„Der Bildungsauftrag steht für die Opelvillen an erster Stelle.“ | HLZ 7-8 2024

In malerischer Umgebung zwischen Main, Verna-Park und Festung in Rüsselsheim befindet sich das Gebäudeensemble der Kunst- und Kulturstiftung Opelvillen. Wegen der erlesenen Ausstellungen und des gelungenen musemspädagogischen Begleitprogramms auch für Schul- und Kindergartengruppen besitzt das Haus eine hohe Strahlkraft, die weit über die Stadt hinausreicht. Robert Hottinger hatte die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Dr. Beate Kemfert, der Leiterin der Kunst- und Kulturstiftung.
 

Robert Hottinger: Liebe Frau Dr. Kemfert, zunächst einmal bedanke ich mich für Ihre Bereitschaft zum Gespräch. Nach Fotografien von Frida Kahlo sind in den Opelvillen aktuell auch Fotografien von June Newton alias Alice Springs, der Frau von Helmut Newton zu sehen. In der Retrospektive werden Porträt, Akt und Mode beziehungsweise Werbefotografie gezeigt. Können Sie bitte zunächst etwas über die Konzeptionen dieser beiden Ausstellungen sagen? Was war Ihnen dabei besonders wichtig?
 

Beate Kemfert: Den Fokus auf Aspekte oder Details zu legen, die bislang noch nicht näher beleuchtet wurden, ist stets von großer Bedeutung für mich. In Zusammenarbeit mit dem Frida Kahlo Museum in Mexiko-Stadt entstand die Möglichkeit, sich der fotografischen Sammlung der mexikanischen Künstlerin zu widmen. Frida Kahlo besaß eine Fülle an Familienfotos und Alben sowie vielfältige, künstlerische Fotografien von verschiedenen Fotografinnen und Fotografen. Da Frida Kahlo vor allem für ihre vielfarbige, naiv anmutende Malerei bekannt ist, bot die Sichtung ihrer gesammelten Fotografien neue Interpretationsmöglichkeiten. Erst durch die Öffnung ihres fotografischen Nachlasses in unserer Ausstellung „Frida Kahlo. Ihre Fotografien“ konnte ihr Faible für die Fotografie öffentlich gemacht und bislang Unbekanntes an den Tag gebracht werden. So war überraschend, dass die Künstlerin ihre zusammengetragenen Fotografien als Inspirationsquellen für ihre Malerei nutzte und darüber hinaus auch selbst fotografierte. Noch heute sind wir voller Stolz, dass uns unser mexikanischer Partner Teile des fotografischen Nachlasses der bedeutenden Künstlerin lieh und wir uns mit den Originalen aus Mexiko beschäftigen und diese ausstellen durften.
 

Auch bei der aktuellen Opelvillen-Ausstellung „Alice Springs. Retrospektive“ handelt es sich um die Sichtung eines Archivs, die der Leihgeber, die Helmut Newton Foundation in Berlin, zum 100. Geburtstag der Fotografin im letzten Jahr geleistet hatte. Die Präsentation in den Opelvillen wurde von uns maßgeschneidert und mit eigenen Texten zur Vermittlung versehen. Neben jeder Ausstellungskonzeption liegt mir unser Bildungsauftrag besonders am Herzen. Die Opelvillen für alle zu öffnen, ist unser Ziel. Bei dieser Ausstellung ist besonders interessant, zu erfahren, dass June Newton zunächst Schauspielerin war und erst Anfang der 1970er-Jahre durch ihren Ehemann Helmut Newton zur Fotografie kam. Dass June Newton, die dann unter dem Pseudonym Alice Springs arbeitete, eine eigene Handschrift entwickelte, zeigt sich besonders deutlich in der Gegenüberstellung von Porträtaufnahmen von June und Helmut Newton, die verschiedene Persönlichkeiten zu unterschiedlichen Zeitpunkten ablichteten. So ist zum Beispiel Karl Lagerfeld von June Newton alias Alice Springs und von ihrem Mann porträtiert zu sehen. Eine Person, aber festgehalten in zwei völlig unterschiedlichen Aufnahmen. Allein bei der Gegenüberstellung der Porträts das vergleichende Sehen zu trainieren, macht schon unheimlich viel Spaß.
 

Robert Hottinger: Welche Rückmeldungen haben Sie zu beiden Ausstellungen bisher bekommen?

Beate Kemfert: Das Feedback auf die Ausstellung „Frida Kahlo. Ihre Fotografien“ war enorm: Der Besucherstrom sprengte alle bisherigen Besucherzahlen. Eine Rekordausstellung, an die wir uns gern erinnern werden, da die Besucherinnen und Besucher voller Neugierde waren und unsere Angebote an Vorträgen, Konzerten, Führungen oder Kreativworkshops ausgiebig nutzten. Unser gesamtes Vermittlungsprogramm war so schnell ausverkauft, dass wir direkt Wiederholungstermine anbieten mussten. Damit wir dem Andrang gerecht werden konnten, ermöglichte uns unser Leihgeber, das Frida Kahlo Museum in Mexiko-Stadt, die Ausstellung zu verlängern. Dafür sind wir sehr dankbar. Die Rückmeldungen auf die aktuelle Schau „Alice Springs. Retrospektive“ sind ebenso positiv, auch wenn die Zahl der Gäste sich wieder in gewohnten Bahnen bewegt.


Robert Hottinger: Was bedeutet KEKS in diesem Zusammenhang?

Beate Kemfert: Der KEKS – Kinder entdecken Kunst spielerisch – ist ein kostenloses Ausstellungsbegleitheft, das Kindern Suchspiele durch die jeweiligen Ausstellungen und Malvorlagen anbietet. Familien nutzen das Heft gern zum gemeinsamen Ausstellungsrundgang. Wir konzipieren für jede Schau einen neuen KEKS, der mit Stiften direkt im Eingangsbereich zum Mitnehmen bereit liegt.
 

Robert Hottinger: Es fällt auf, dass im abwechslungsreichen Programm immer wieder Arbeiten von Fotografinnen gezeigt werden, so zum Beispiel auch Frieda Riess und Yva oder Lee Miller. Gibt es Gründe für die Vorliebe für Fotografie und Auswahl der Künstlerinnen?

Beate Kemfert: Die Entwicklung der Fotografie in den Opelvillen aufzuzeigen, hat von Anfang an einen hohen Stellenwert. Da grundsätzlich interessant ist, sich Themen zu widmen, die bisher wenig Beachtung fanden, fällt mein Blick verstärkt auf Künstlerinnen und Fotografinnen. Frieda Riess und Yva, deren Hauptschaffen in die 1920er-Jahre fiel, waren quasi vergessen und auch die fotografische Vielfalt von Lee Miller gilt es noch zu entdecken.
 

Robert Hottinger: Es gab auch Beispiele aus dem angewandten Bereich: „BRAVO-Starschnitte. Eine Sammlung von Legenden“ oder vor einigen Jahren zu Fotografien in der seinerzeit recht innovativen Modezeitschrift „Sibylle“ der DDR. Können Sie ein wenig über die Motivation für diese Formate berichten?

Beate Kemfert: In der Kunstgeschichtserzählung ist auch die Frage nach dem Kontext relevant. Für welchen Zweck wurden Bilder oder Fotografien in Auftrag gegeben? Fotografinnen und Fotografen haben beispielsweise für Mode-, Kultur- oder Musikmagazine gearbeitet. Losgelöst betrachtet, sind teils ikonische Aufnahmen entstanden. Eingebettet in den Kontext ihrer Veröffentlichung, BRAVO oder Sibylle, wird aber erst die zeitgeschichtliche und gesellschaftliche Relevanz deutlich.
 

Robert Hottinger: Gibt es weitere Ausstellungen, an die Sie sich besonders gerne erinnern?

Beate Kemfert: Besonders gern erinnere ich mich auch an „Niki de Saint Phalle und das Theater“. Eine Ausstellung, an der ich sechs Jahre gearbeitet habe, und die neue Forschungsergebnisse liefern konnte. Für diese Ausstellung mit wunderbaren Leihgaben aus verschiedensten Sammlungen konnte ich auch eine Tournee entwickeln und einen umfassenden Katalog erarbeiten.
 

Robert Hottinger: Kindergärten, Schulklassen und andere Bildungseinrichtungen können die Ausstellungen auf Anfrage kostenfrei besuchen. Welche Ziele verfolgen Sie bei den Programmen zur kulturellen Vermittlung und Bildung für alle?

Beate Kemfert: Unser Bildungsauftrag steht an erster Stelle. Gerade die Pandemiezeit zeigte, wie sich die Opelvillen als außerschulischer Lernort gefestigt haben. Egal welchen Alters und welcher Herkunft, alle Menschen liegen uns am Herzen. Stets denke ich mir neue Formate aus, für die ich Förderanträge einreiche. Nur mit Fördermitteln können wir unser Vermittlungsprogramm durchführen. Um vielen Menschen kulturelle Teilhabe ermöglichen zu können, werden wir nicht müde, weitere Anträge zu stellen. Für bedürftige Kinder und Jugendliche aus Rüsselsheim und Umgebung entwickelten wir Kulturkofferprojekte, die sich über die Förderhöchstdauer von zwei Jahren erstreckten. Weitere außerschulische Maßnahmen wie die Peer-Projekte können wir seit vielen Jahren dank einer Bundesförderung durchführen. Für ältere Menschen bieten wir aktuell Mitmachkonzerte kostenlos an. Neben den Demenzführungen sind mir weitere Angebote sehr wichtig, die Menschen zum kulturellen Austausch zusammenführen.
 

Robert Hottinger: Welche Bedeutung haben die Einrichtungen „Schleuse“ und das „Labor“ zur Förderung von Kunststudierenden?

Beate Kemfert: Ein weiterer, wichtiger Pfeiler unserer Stiftungsaufgaben ist die Förderung von junger Kunst. Unser Ausstellungsbereich „Schleuse“ ist Studierenden der Region vorbehalten. Hintergrund ist, dass wir mit der Hochschule für Gestaltung Offenbach, der Städelschule Frankfurt und der Kunsthochschule Mainz ausgezeichnete Akademien vor der Tür haben, deren angehende Künstlerinnen und Künstler wir einem breiteren Publikum vorstellen möchten. Unser „Labor“ ist ein Art Gastatelier, das von jungen Talenten zum experimentellen Arbeiten, aber auch zum Ausstellen genutzt werden kann.

Robert Hottinger: Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch und wünsche Ihnen und dem Team der Opelvillen weiterhin viel Erfolg.