Mehr als eine Nebentätigkeit

Mentoring im Quereinstieg in den Schuldienst | HLZ Juni 2024

Zu Beginn des Schuljahres 2023/24 waren in Hessen 1.000 der rund 65.000 Stellen für Lehrerkräfte unbesetzt. Inzwischen können potenzielle Lehrkräfte entweder ohne pädagogische Vorkenntnisse als befristet beschäftigte Vertretungskraft einsteigen oder aufgrund ihrer fachlichen Ausbildung berufsbegleitend den sogenannten „Quereinstieg in den Schuldienst“ absolvieren. Unter Quereinstieg wird üblicherweise der Zugang zum Beruf über den regulären Vorbereitungsdienst verstanden. Dieser wird dabei geöffnet für Hochschulabsolvent:innen mit einem fachlich passenden Studienabschluss, der kein Lehramt ist. Dies ist in Hessen derzeit in zahlreichen Mangelfächern beziehungsweise beruflichen Mangelfachrichtungen möglich. Unter Seiteneinstieg wird hingegen von der Kultusministerkonferenz (KMK) der Zugang direkt in den Beruf mit einer berufsbegleitenden Qualifizierung verstanden. Was in Hessen als „Quereinstieg in den Schuldienst“ fungiert, ist somit nach KMK-Terminologie eigentlich ein Seiteneinstieg.


Der Quereinstieg in den Schuldienst wird bislang nicht durch systematische Mentoringprogramme flankiert. Mentor:innen können bisweilen auf ihre Erfahrungen im Mentoring in der ersten und zweiten Phase der Lehrkräftebildung und auf Unterstützungsangebote durch Universitäten und Studienseminare zurückgreifen. Manche Schulen entwickeln in Eigeninitiative Mentoringformate für Quer- beziehungsweise Seiteneinsteiger:innen in den Schuldienst. Antriebsfeder für ihre Tätigkeit ist für viele Lehrkräfte die Annahme, dass erfahrene Lehrkräfte automatisch von ihrer Mentor:innentätigkeit profitieren und ihre eigene pädagogische Professionalisierung vorantreiben. Diese Vermutung hält einer empirischen Überprüfung nicht stand. Es gibt gute Gründe dafür, Mentor:innen von Berufseinsteiger:innen in den Lehrberuf im Allgemeinen und im Seiteneinstieg im Besonderen zu qualifizieren, denn die eigene Professionalisierung im Mentoring ist kein Selbstläufer. Das zeigen die Befunde der rekonstruktiven Studie „Mentoring im Referendariat – eine Black Box?“, die Rückschlüsse auf Qualifizierungsmaßnahmen für Mentor:innen im Seiteneinstieg zum Lehramt zulässt.


Mentoring als Personalentwicklungsinstrument

In der Organisationsforschung gilt Mentoring als Personalentwicklungsinstrument, gekennzeichnet durch informelles und reziprokes, also wechselseitiges Lernen von Erwachsenen im Kontext lebenslangen Lernens. Schulen haben im Gegensatz zu Betrieben, wo Mentoring systematisch als Personalentwicklungsinstrument genutzt wird, nur begrenzten Einfluss auf ihre Personalentwicklung. Dies bedeutet für die ersten beiden Phasen der Lehrkräftebildung, dass Mentor:innen auch nur bedingt Einfluss auf die Sozialintegration und Weiterbeschäftigung von Nachwuchskräften in der eigenen Organisation haben. Insofern sind in diesen Phasen eher die Bedingungen einer Lernbegleitung im Sinne der Berufsbildung gegeben. Diese birgt die Gefahr, im Mentoringtandem ein einseitiges hierarchisches Verhältnis im Sinne eines Meister-Lehrling-Verhältnisses abzubilden. Der Seiteneinstieg zum Lehramt hingegen erfüllt viele Voraussetzungen für Mentoring als Personalentwicklungsinstrument, da Seiteneinsteiger:innen häufig mit der Perspektive der Weiterbeschäftigung an der Schule eingearbeitet werden. In diesem Kontext könnte sich Mentoring also durchaus als Win-win-Situation herausstellen. Dafür ist es aber notwendig, dass Mentor:innen wissen, wie sie ihre Rolle in der Lehrkräftebildung ausfüllen sollen.
 

Um Mentoring im Seiteneinstieg zum Lehramt nicht auf der Ebene eines Meister-Lehrling-Verhältnisses zu belassen, lohnt sich der Blick auf die empirisch belegten Funktionen des Mentoring als Personalentwicklungsinstrument:
•    Die karrierebezogenen Funktionen stützen auf das berufliche Weiterkommen, auf Aufstieg, Karriereplanung, Kontaktvermittlung der Mentees und sollten auch einen gewissen Schutz vor drohenden Schäden (zum Beispiel Mobbing) einschließen.
•    Die psychosozialen Funktionen erstrecken sich auf emotionale Aspekte und nehmen sowohl Stärken als auch Schwächen der Mentees wahr.
•    Die Vorbildfunktion kann als Orientierung und Bestätigung für eigene Anliegen wirken. Insbesondere letztere muss mit dem Anspruch des „reflektierenden Praktikers“ in der Lehrkräftebildung in Einklang gebracht werden. Im positiven Fall kann Mentoring im Quer- und Seiteneinstieg zum Lehramt die Ressourcenmobilisierung sowie die Wahrnehmung der Person für sich selbst fördern und die Planung und Verwirklichung realistischer Veränderungs- und Lernschritte bei Mentees anregen.


Die Studie „Mentoring im Referendariat – eine Black Box?“ bietet dazu konkrete Umsetzungsvorschläge. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft auch der Seiteneinstieg zum hessischen Lehramt durch Qualifikationsmaßnahmen und Entlastungen für Mentor:innen flankiert wird.


Literatur

Gergen, A. (2023): Mentoring im Referendariat: Eine Black Box? Organisationspädagogisch-rekonstruktive Analysen des Vorbereitungsdienstes zum Lehramt an Gymnasien (Reihe „Organisation und Pädagogik“). Wiesbaden: Springer VS.
Gergen, A. (2022): Lernbegleitung durch Mentorinnen und Mentoren im Vorbereitungsdienst zum Lehramt. Praktiken der Berufsbildung in der gymnasialen Lehrkräftebildung. In M. Schön & R. Arnold (Hrsg.), Lernbegleitung – Anmerkungen zu einem Modus pädagogischer Professionalität (S. 101-114). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
GEW Hessen (2024): 15 Punkte gegen den Lehrkräftemangel.