Von Kommunalaufsicht ausgebremst

Sanierung von Beruflichen Schulen Groß-Gerau mit Hindernissen | HLZ Juni 2024

Schulträger sehen ihre maroden Schulen nicht gerne in den Medien. Anfragen zur Berichterstattung von Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern werden häufig abgewiesen oder nur widerwillig bedient. Anders der Landkreis Groß-Gerau: Hier wurde Ende Februar zur öffentlichen Besichtigung einer baufälligen Schule mit anschließender Diskussion geladen.
 

„Wir sind froh, wenn es kalt und regnerisch ist“ – das ist der Wunsch von Markus Palewka für das Wetter in den Sommermonaten. Palewka steht in der Elektrowerkstatt – einem Klassenraum mit veraltetem Inventar, in dem er selbst regelmäßig unterrichtet. Der Raum hat 17 Fenster, von denen sich nur zwei öffnen lassen. Der Rest ist vernagelt. Da auch die Belüftung nicht funktioniert, wird es im Sommer sehr heiß, der gemessene Spitzenwert beträgt 44 Grad. Ganz anders sieht es im Winter aus: Dann beträgt die Temperatur in der Elektrowerkstatt ungefähr 10 Grad mehr als draußen.
 

Die Elektrowerkstatt befindet sich in den Beruflichen Schulen Groß-Gerau, kurz BSGG. Die BSGG ist eine Schule mit 2.700 Schüler:innen. Sie besteht aus mehreren Bauten, Unterricht erteilen 170 Lehrkräfte. Ein Viertel der ursprünglichen Klassenräume ist vor einiger Zeit abgerissen worden. Das entsprechende Gebäude war abbruchreif, es war unter anderem stark von Schimmel befallen. Hier befanden sich alle naturwissenschaftlichen Räume der Schule. Fächer wie Biologie und Chemie werden seitdem nur noch theoretisch unterrichtet. Für Versuche müssen die Schüler:innen eine andere Schule aufsuchen, die in rund 20 Minuten zu Fuß zu erreichen ist. Das kostet Zeit – Pausenzeiten, und zum Teil auch Unterrichtszeit. Um die durch den Abriss entfallenen Raumkapazitäten vorübergehend zu ersetzen, sind drei Containerstandorte auf dem Schulgelände errichtet worden. Trotzdem herrscht großer Platzmangel an der Schule, die in den 1960er Jahren errichtet wurde. Die Haustechnik ist veraltet. Eine sinnvolle Verzahnung von theoretischem und praktischem Unterricht ist nicht möglich, weil Praxis- und Klassenräume für alle Ausbildungsberufe auf dem Schulgelände weit auseinander liegen.


Kommunalaufsicht veranlasst Baustopp …

Der Landkreis Groß-Gerau als Schulträger der BSGG plante, ab 2024 rund 100 Millionen Euro in die Schule zu investieren. Die Finanzierung sollte durch Kreditaufnahme erfolgen. Kurz vor Weihnachten 2023 stoppte eine Intervention des Regierungspräsidiums Darmstadt in seiner Funktion als Kommunalaufsichtsbehörde dieses Vorhaben. Zwar stellte das Regierungspräsidium die geplanten Investitionen zur Sanierung und Erweiterung der BSGG nicht grundsätzlich in Frage. Es verweigerte aber eine für den Bau der Schule notwendige Genehmigung, weil der Landkreis Groß-Gerau im Jahr 2023 keinen genehmigungsfähigen Haushalt aufgestellt hatte, und weil zu diesem Zeitpunkt auch für das Jahr 2024 noch kein Haushalt im Kreistag verabschiedet worden war. Erst muss der Landkreis, so die Kommunalaufsicht, „ausgeglichene und damit genehmigungsfähige Haushalte konzipieren“, bevor die Aufnahme neuer Schulden für die vorgesehenen Investitionen an der BSGG genehmigt würde.
 

… was zu öffentlichem Protest führt

Gegen diese Maßnahme protestierte Landrat Thomas Will (SPD). Er verwies in einem ersten Statement darauf, dass „durch das Anziehen der Daumenschrauben“ seitens der Kommunalaufsicht die gesamte Schulbauinitiative des Kreises gefährdet sei. Und dabei gehe es nicht um freiwillige Leistungen, sondern um eine Pflichtaufgabe.


Auch der GEW-Kreisverband kritisierte umgehend das Vorgehen des Regierungspräsidiums Darmstadt. Nach Einschätzung von Friedhelm Ernst, der an der BSGG unterrichtet und Mitglied im Gesamtpersonalrat beim zuständigen Staatlichen Schulamt ist, setzt das Regierungspräsidium die Zukunftsfähigkeit und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ganzer Regionen aufs Spiel. Tatsächlich hat die BSGG Bedeutung über den Landkreis hinaus, da sie eine von drei beruflichen Schulen in Deutschland ist, an denen Gerüstbauer:innen unterrichtet werden.


Die Schulleitung der BSGG ging mit Rückendeckung durch den Schulträger selbst in die Offensive und organisierte für den 26. Februar eine Diskussionsveranstaltung mit vorheriger Schulführung unter dem Motto „Berufsschulen in Not – Auswirkungen der Finanzmisere“. Die mit 400 Plätzen bestuhlte Aula war überfüllt, mehr als 50 Personen mussten die Veranstaltung im Stehen verfolgen.


Schulleiterin Sabine Kämpf berichtete zu Beginn von einem Kollegen, der aufgrund der für ihn untragbaren baulichen Situation an der Schule den Arbeitsplatz wechseln wird. Die BSGG sei so unattraktiv, dass der Ausbildungsstandort aufgrund des schlechten baulichen Zustands gefährdet sei. Wenn aber nicht mehr ortsnah vernünftig ausgebildet werden könne, dann würden junge Erwachsene in Groß-Gerau keine Ausbildung mehr machen. Und sie würden auch kaum lange Fahrten zu anderen beruflichen Schulen auf sich nehmen. Das aber würde dann die berufliche Ausbildung in der Region negativ betreffen.


Diese Kritik wurde im Kern von Florian Schöll, dem Geschäftsführer der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main, im Rahmen der Podiumsgespräche geteilt. Er übte grundsätzliche Kritik: Nach seiner Meinung trägt die öffentliche Hand zu wenig dazu bei, die berufliche Ausbildung im dualen System attraktiver zu machen und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Ein wesentliches Problem seien dabei die oft maroden Schulgebäude und ihre schlechte Ausstattung.


Kritisch zum Baustopp äußerten sich auch Eltern- und Schüler:innenvertretungen. Während die anwesenden Landespolitiker:innen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU mit Blick auf eine mögliche Unterstützung durch Landesmittel vage und unverbindlich blieben, konnte Landrat Will verkünden, dass nach seiner Einschätzung im April ein Haushalt für den Landkreis verabschiedet wird. Damit sei dann auch die Sanierung der BSGG gesichert, auch wenn das Volumen wohl nur noch 60 Millionen Euro betragen werde.
 

Groß-Gerau verabschiedet Haushalt im April

Tatsächlich hat der Kreistag in Groß-Gerau im Rahmen einer Sondersitzung am 15. April den Haushalt für das Jahr 2024 beschlossen. Die Sanierung der BSSG kann so mit Verzögerung von einem dreiviertel Jahr und einem geringeren Volumen im Herbst starten.


Eigentlich sind nach Ansicht von Thomas Will in den kommenden zehn Jahren Schulbauinvestitionen in Höhe von einer Milliarde Euro im Landkreis erforderlich. Will erwartet aber nicht, dass diese Summe tatsächlich investiert werden kann. Dies wird nach seiner Auffassung nicht nur an der Kommunalaufsicht scheitern, da beim Landkreis erhebliche Personalengpässe bestehen. Es sei nicht möglich, die entsprechenden Fachkräfte – also Architekt:innen und Bauingenieur:innen – anzuwerben, da sie auf dem Arbeitsmarkt fehlen würden. Außerdem sei es aufgrund der finanziellen Situation des Landkreises nicht möglich, die entsprechenden Stellen zu schaffen. Da die Zahl der Schüler:innen weiter steigen werde, bedeute dies wohl noch mehr Unterricht in Containern.


Die Statistik gibt Will recht: Groß-Gerau verzeichnet seit 2014 unter den hessischen Landkreisen sowohl absolut als auch prozentual den höchsten Anstieg bei der Zahl der Schüler:innen, die staatliche Schulen besuchen. Und Prognosen sagen auch für die kommenden Jahre ein starkes Bevölkerungswachstum in diesem Landkreis voraus.